Der Psychokloß

■ Gemein, versoffen und brillant: Robbie Coltrane in der britischen Serie "Für alle Fälle Fitz" (sonntags, 22 Uhr, ZDF)

Robbie Coltrane ist ein Kultstar aus der zweiten Reihe und seine Filmographie beeindruckend. Seit Beginn der achtziger Jahre treibt er im britischen, zuweilen auch US-amerikanischen Kino sein Wesen. Derek Jarman buchte dieses barocke Gesicht für „Caravaggio“, Neil Jordan für „Mona Lisa“, Kenneth Branagh für „Henry V.“. Soviel zur Reputation des theatergeschulten Mimen, kommen wir zum unterhaltsamen Teil. Am besten nämlich ist Coltrane, wenn er Figuren in Gang setzt, die mal mehr, mal minder kontrolliert auf der Schneide zwischen Witz und Wahn entlangschlittern, die im Parkett für Spannung sorgen, weil man nie weiß, ob sie im nächsten Moment mit putzmunterem Slapstick oder paranoischen Gewaltausbrüchen aufwarten. Darum ist Coltrane auch regelmäßig in den Filmen der Comedy-Gang „The Comic Strip“ gegenwärtig. Unvergeßlich, wie er in „Supergrass“ in Erwartung einer Rauschgiftlieferung bei Wind und Wetter ungerührt auf der Hafenmauer eines kleinen Küstenörtchens in Devon ausharrt und den über ihn hereinbrechenden Wellen trotzt, bevor er seiner angestauten Wut Luft macht, indem er eine einlaufende Yacht mit der Kettensäge aber auch schon dermaßen zu Kleinholz zerlegt, daß die spärlichen Reste bestenfalls noch für ein kleines Strandfeuerchen taugen.

Da haben wir Robbie Coltrane pur, beleibt und belebt, und item auch Dr. Edward Fitzgerald, den Titelhelden der britischen Kriminalserie „Für alle Fälle Fitz“. Fitz ist eine sperrige Figur, ein unleidlicher Rülpskolben und rechtschaffenes Ekelpaket, nach Ansicht seines standesgemäß mißratenen Sohnes „ein Hit für jedes Comic- Heft“. In einem raren Moment aufrichtiger und darum mit einer gewissen Traurigkeit gepaarten Selbsterkenntnis gesteht der chronisch verhaltensauffällige Psychokloß sich und seiner Gesprächspartnerin, daß er nicht gerade über eine Idealfigur verfügt. Dieses heutzutage einem Gebrechen gleichkommende Manko kompensiert er durch furiose Mundwerkerei, „spontan, verwegen, einfallsreich“ – so beschreibt er sich selbst. Als Psychologe mit immenser kriminologischer Begabung macht er sich ungescheut unbeliebt, denn Manchesters Polizei verrichtet ihren Dienst nach Vorschrift, bringt also in entscheidenden Fällen nicht viel zuwege. Der rüpelhafte Fitz setzt Verdächtigen wie Unverdächtigen gehörig zu, so wie er sich selbst zusetzt, denn wenn er sich nicht in seine Fälle verbeißt, zerrütten ihn Spielsucht, Alkohol und Tabak sowie die aufreibenden Beziehungsgefechte mit seiner Ehefrau, der Fitz in teils würdeloser Manier hinterherhechelt, nachdem sie ihn, seiner Eskapaden überdrüssig, in spontanem Entschluß verlassen hat.

Die Serie „Für alle Fälle Fitz“, den Briten unter dem Namen „Cracker“ geläufig, ist ein Kleinödchen, so daß man zu fragen versucht ist, wie sie, drei Jahre nach der britischen Erstausstrahlung, ins Programm des ZDF gelangen konnte, eine Anstalt, in der man Sätze wie „Harry, die Wagen sollen sich fertig machen“ für sendefähig hält. Aber die Plazierung auf einem derart erlesenen Sendeplatz, am späten Sonntagabend, signalisiert denn doch, daß sich auf dem Mainzer Lerchenberg nichts wirklich Gravierendes verändert hat. Der Schock wäre auch gar zu groß gewesen. Harald Keller