■ Zur neuerlichen Diskussion um die Scientology-Sekte: Öffentliche Reinwaschung
Seit ungefähr sechs Jahren vollzieht sich stets das gleiche Ritual: Immer neue Machenschaften des Scientology-Konzerns werden aufgedeckt, mehr oder weniger prominente Einzelpersonen als Mitglieder der Sekte geoutet und Firmen als scientologisch unterwandert enttarnt. Bestürzende Opfergeschichten werden ans Licht gebracht; der Verfassungsschutz stuft den Kult mit Anspruch auf Weltherrschaft als verfassungsfeindlich ein. Scientology kommt nicht aus den Schlagzeilen – und das ist gut so.
Politik und Medien haben sich viel zu lange um Positionen zu dieser angeblichen Kirche gedrückt. Die Scientologen sind in der BRD schließlich schon seit Anfang der siebziger Jahre aktiv. Daß heute munter kommentiert, erklärt und berichtet wird, dient der nach wie vor notwendigen Aufklärung über die Gefahren des Hubbardschen Imperiums.
Doch inzwischen wirken die Beschwörungen ob der Gefahren, die von den Scientologen ausgehen, wie eine Art öffentliche Reinwaschung, die manche dazu nutzen, sich mit starken Worten zu profilieren. Daß Tom Cruise Scientologe ist, wurde in einschlägigen Kreisen schon lange als Tatsache gehandelt. Nun hat der Schauspieler mit dem Schwiegersohnimage sich pünktlich zum Kinostart seines neuen Leinwandepos „Mission: Impossible“ auch selbst dazu bekannt. Die Scientology-Debatte hat somit neuen Stoff erhalten: Die Junge Union ruft zum Boykott des Films auf, Bayerns Innenminister Beckstein fordert gar eine Erklärungspflicht für Beamtenanwärter. Doch welcher Scientologe wird unter diesen Bedingungen seinen Hubbard hochalten? Daß derlei Drohungen wenig fruchten, wissen selbst Konservative noch aus der Berufsverbotsdiskussion Anfang der siebziger Jahre.
Der Aufruf zum Filmboykott kommt ohnehin mehr einer Inszenierung gleich, die dem Film nützt. Aber wo bleibt die Auseinandersetzung mit Sektenphänomenen in der Schule, wo eine Politik, die die Zukunftsängste vieler mildern könnte? Denn die Sehnsüchte nach einem besseren Leben sind es schließlich, die Menschen den Sekten in die Arme treiben. Mit Verboten und Geboten wird man diesem Problem sowenig beikommen wie der Drogenfrage. Jörg Herrmann
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