■ Ignoranz und Profitgier führten zum Tod in den Pyrenäen
: Tückische Natur

In einem sind sich alle zivilisierten Menschen gleich: Kaum haben sie es mit Naturwundern zu tun – ob nun an der Nordspitze Jütlands, auf dem griechischen Olymp, in den bayerischen Alpen oder den spanischen Pyrenäen –, werden sie zu verzückten Kindern. Sie machen sich so dicht an die Natur heran wie irgend möglich, sie wollen das seltene Gut anfassen, fühlen und riechen. An der Nordspitze Dänemarks, wo Nord- und Ostsee zusammentreffen, sprechen Einheimische lakonisch vom Wash-&-Go-Effekt: Städtische Touristen gehen an den Strand, staunen über die gegeneinanderlaufenden Wellen von Nord- und Ostsee und stürzen sich voll Begeisterung zum Baden in das eiskalte Wasser – und manche verschwinden dabei in den Fluten. Das Phänomen ist in Dänemark allgemein bekannt, daher haben vorsorgliche Tourismusämter Hinweisschilder aufgestellt.

Nicht so in Spanien. Mindestens 80 zeltende Touristen hat eine Schlammlawine bei der jüngsten Flutkatastrophe in den spanischen Pyrenäen ertrinken lassen. Der Tatbestand an sich ist in Spanien keineswegs neu. Jahrelang ausgetrocknete Flußbetten schwellen nach Regengüssen in wenigen Minuten zu reißenden Flüssen an, deren Wasser die Berge hinabstürzt.

Wie gesagt: Jahrelang floß kein Tropfen durch die Rinnen und Täler. Die Menschen dachten offenbar, daß nie mehr Wasser hindurchfließen würde. Sie richteten sich darin ein, bauten Hütten, parkten ihre Autos dort und setzten eben einen Campingplatz in den getrockneten Abfluß der Bergbäche.

Die Profiteure des Naturwunders Pyrenäen konnten sicher sein, daß die spanischen und ausländischen Touristen auf den ersten Blick nicht erkennen würden, auf welch gefährlichen Grund sie ihre Urlaubsbehausungen setzen. Stadtmenschen haben sich ja zum Glück für Profithungrige so weit von der Natur entfremdet, daß sie die Gefahren der Natur nicht mehr einschätzen können.

Nun haben sie einen zu hohen Preis für ihre sinnliche Erfahrung zu zahlen. Aber auch die Bewohner der Region haben sich ihrer natürlichen Umgebung entfremdet. Sie haben gewußt, daß dem Zeltplatz der Wash-&-Go-Effekt droht – und haben dies billigend in Kauf genommen. Zeltplätze mit 600 Touristen bringen immerhin Pesetas in Krämerläden und Gemeindekassen. Ulrike Fokken