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Steif, hölzern und unsicher

Bei seiner zweiten Amtseinführung legte Rußlands Präsident Boris Jelzin nur den Eid ab – in genau 45 Sekunden. Neue Bescheidenheit im Kreml  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Soldaten der Präsidialgarde eröffneten gestern die Feierlichkeiten zu Präsident Jelzins zweiter Amtseinführung. Mit aufgepflanzten Bajonetten, in goldblauen zaristischen Uniformen zogen sie in den Kremlpalast ein. Mit sich trugen sie die Standarten und Insignien des neuen Rußlands. Vorneweg marschierte die Verfassung, auf die Boris Jelzin wenige Minuten später seinen Eid ablegte. Die Zeremonie, bombastisch geplant, fand in bescheidenem Rahmen statt. In letzter Minute verlegte der Präsident das Unternehmen vom Sobornij Ploschschad unter freiem Himmel in den Kremlpalast. Der neue Administrationschef Anatolij Tschubais hatte die ehrgeizigen Pläne seines Vorgängers gleich bei Amtsantritt kritisiert. Offiziell wurden indes Sparmaßnahmen als Gründe genannt.

Die Ode „Unser Präsident“, die Tschubais wegen ihrer pathetischen Lyrik verworfen hatte, gelangte aber doch noch zur Aufführung. Der Chor, hinter einem durchsichtigen weißen Vorhang, summte sie verhalten zum Ausklang der Zeremonie. So kam wenigstens noch der Komponist der Kantate zu Ehren.

Präsident Jelzin, der ein wenig steif und hölzern wirkte, sprach seinen Eid, ganze 45 Sekunden dauerte es, für den Rest der Festveranstaltung schwieg er. Geradezu im Eilverfahren wurde die Inauguration abgehandelt. Nach knapp zwanzig Minuten verließ der neue Präsident den schmucklosen Beton- und Glaspalast, der einst Kongressen der kommunistischen Partei als Versammlungsort diente.

Nach dem Einmarsch der Garde verkündete der Vorsitzende der zentralen Wahlkommission, Nikolai Rjabow, das offizielle Wahlergebnis, wobei ihm eine kleine Ungenauigkeit unterlief, er vertat sich ein wenig bei der offiziellen „Wahlbeteiligung“. Doch das war wahrscheinlich der Aufregung geschuldet. Nervös schienen alle, die als Vertreter des offiziellen Rußlands auf der Bühne angetreten waren. Folgeredner Wladimir Tumanow, Vorsitzender des Verfassungsgerichts, forderte den Präsidenten auf, den Eid abzulegen. Nicht nur fuchtelte er dabei pietätlos mit dem linken Arm und schien auf den Zehenspitzen zu tänzeln, nein – er sagte auch so etwas wie „den Eid, den Sie ja kennen“, als müsse er sich noch einmal vor Gericht rückversichern, ob sich der Befragte seiner Rechte auch bewußt sei. Dann legte Jelzin die rechte Hand auf die eigens angefertigte Sonderausgabe der Verfassung in rotem Leder und gelobte: „Ich schwöre bei der Wahrnehmung meiner Aufgaben als Präsident der Russischen Föderation, Menschen-, Bürgerrechte und Freiheiten zu respektieren und zu verteidigen, die Verfassung zu achten und zu schützen.“

Hatten sich die Vorredner kurz gefaßt, so nahm sich der Patriarch der russisch orthodoxen Kirche Alexej II. ein wenig mehr Zeit. Der Kirchenvertreter fehlt kaum mehr bei einer größeren Politveranstaltung. Er las seine Worte vom Blatt und gemahnte den Präsidenten, die traditionsreiche Geschichte Rußlands nicht zu mißachten. Draußen über den Zinnen des Kreml wurde die russische Fahne gehißt und Kanoniere brachten Geschütze für dreißig Schuß Salut in Position. Boris Jelzin zog von dannen – in den Urlaub heißt es. Die unprätentiöse Veranstaltung gab Gerüchten Auftrieb, dem Präsidenten gehe es nicht allzu gut.

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