Betonierter Fluß läuft über

Mindestens 63 Menschen starben bei der Überschwemmung eines Campingplatzes in den Pyrenäen. Das Unglück ist kein Einzelfall  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Für den Alten aus Biescas ist die Ursache des Überschwemmungunglücks in den Pyrenäen klar. „Der Fluß hat sich zurückgeholt, was ihm früher genommen wurde“, sagt er in den Fernsehnachrichten. Die Luftaufnahmen von dem Gebiet geben ihm recht. Ein ganz normales Mündungsdelta ist da zu sehen, würden nicht Autowracks und umgekippte Wohnmobile aus den Schlammassen herrausragen. 63 Menschen sind hier nach offiziellen Angaben gestorben; die Tageszeitung El Pais schreibt gar von 86 Toten. Noch immer werden 20 Menschen vermißt.

„Ideal für den Urlaub mit der ganzen Familie“, verkünden die Werbeprospekte des Vier-Sterne- Campingplatzes Las Nieves mit 600 Stellplätzen. Die idyllische Lage in den Zentralpyrenäen, direkt an der Mündung des Arás in den Gállego, zog seit zehn Jahren naturbegeisterte Touristen aus dem In- und Ausland an. Der Nationalpark Ordesa lädt zu Tagesausflügen ein.

„Eine unglückliche Verkettung von Zufällen“, beteuerte die Regionalregierung von Aragon nur wenige Stunden nach dem tragischen Unglück. Doch die Katastrophe ist auch menschengemacht. 160 Liter pro Quadratmeter in nur eineinhalb Stunden ließen den Arás um das Hundertfache anschwellen. Die Kanalisierung der kleinen Zuläufe aus den fünfziger Jahren, die überall in den Pyrenäen die Dörfer vor der alljährlichen Schneeschmelze schützen sollen, führten die Wassermassen ungebremst hinab ins Tal. Die Stauseen oben im Gebirge waren nicht in der Lage, den Gewitterregen aufzunehmen. Erstmals seit fünf Jahren sind sie dank ausgiebiger Schnee- und Regenfälle im letzten Winter randvoll. Das betonierte Flußbett des Arás gab unter den Wassermengen nach.

Campen auf gesetzlichem Überschwemmungsgebiet

Was die Regierung verschweigt, enthüllt der Direktor des Geologischen Institutes, Francisco Ayala. Der Campingplatz erhielt 1988 die Baugenehmigung mit dem Vermerk: „Keinerlei Überschwemmungsgefahr“, obwohl der vorgeschriebene Sicherheitsstreifen von 100 Meter zum Ufer des Arás nicht eingehalten wurde. Diese Zonen sind gesetzlich ausdrücklich als Überschwemmungsgebiet ausgeschrieben – eine Bestimmung, die die Regionalregierung von Aragon und die zuständigen Wasserbehörden einfach übergingen. Schließlich regnet es im Sommer so gut wie nie, der Arás droht so manches Jahr sogar auszutrocknen. Allerdings haben die Besitzer die Rechnung ohne die Sommergewitter gemacht. In Form von Wasserhosen verwüsten sie immer wieder ganze Landstriche auf der iberischen Halbinsel. Die kanalisierten Bach- und Flußläufe sind meist nicht in der Lage, die schnell steigenden Wassermassen aufzunehmen. Der Fortschrittsglaube und die unkontrollierte Bauwut führten jetzt in Biescas zur Katastrophe – und das, obwohl das Gebiet nicht einmal am stärksten von dem Gewitter betroffen war. Weiter im Süden, in Teruel, regnete es weitaus stärker, ohne tragische Folgen. Der Präsident der spanischen Metereologischen Gesellschaft, Lorenzo Garcia-Pedraza, hält die Spekulation mit Baugelände für die Ursache derartiger Unglücke. Seit 1962 starben insgesamt 600 Menschen bei Überschwemmungskatastrophen, die immer nach dem gleichen Schema verliefen. Ausgetrocknete Flußläufe, eigentlich Gemeindeland, waren als Spekulations- und Baugelände verwendet worden. Ganze Siedlungen an der Küste und in den Vororten der großen Städte entstanden auf derartigem Boden. Einzig sinnvoller Schritt für die Zukunft ist deshalb eine minutiöse Untersuchung der Unglücksursachen und eine Überprüfung der Baugenehmigungen im ganzen Land.