Sprachlos waren wir schon vorher

■ Am Wochenende zu Gast im Monsun: das New Yorker „Alchemical Theatre“

„Im Anfang war das Wort. Hier stock ich schon. Wer hilft mir weiter fort. Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen. Ich muß es anders übersetzen.“ Richtig erkannt, Freund Faust, so geht das nicht. Das Letzte Wort nannte Maurice Blanchot folgerichtig 1935 die Novelle, aus der das New Yorker Alchemical Theatre ein Stück entwickelt hat. So ging es aber auch nicht.

Eine Handlung wiederzugeben ist hier so schwierig wie wahrscheinlich überflüssig. Nicht die Geschichte eines Richters auf dem Weg zum Turm der Macht ist das Thema, sondern Sprache selbst. Eine Ansammlung von Fragmenten ist die Form: Fragmente nicht nur einer Geschichte, Fragmente auch von Ästhetiken. Nichts gehört zusammen, das Unverbundene ist Prinzip. Der Ton paßt nicht zum Licht, Projektionen nicht zum Bühnenbild, die Reaktion selten zum Spiel des Partners. Auf der Bühne steht ein Gerüst mit Seilen, Rollen, Flaschenzügen. Die Technikassoziation des ersten Moments macht einfachen archaisch-mechanischen Vorgängen Platz: Türme entstehen aus wenigen Brettern, ein wackelnder Tisch als trudelnde Welt. Es gibt poetische Bilder, viele sind allerdings kryptisch. Unklar bleibt auch die Expressivität des Spiels. Sechs Darsteller teilen sich die Figur des Richters. Verständigung ist schwierig, Worte greifen nicht mehr.

Die Frage nach dem Sinn von Sprache und Literatur in einer nicht mehr stimmigen und überschaubaren Welt ist ein Hauptthema im Werk von Maurice Blanchot (geb. 1907). Wie Beckett, Camus und Sartre möchte er den Leser in einen beziehungs- und kommunikationslosen Raum führen, in dem Dinge und Erfahrungen neue Bedeutungen bekommen können. Kein neuer Gedanke mehr, aber vielleicht ein immer offensichtlicher werdender, dessen sich das Alchemical Theatre angenommen hat. Fast alle Mitglieder haben mit dem legendären New Yorker Living Theatre gearbeitet. Von dessen Tradition des totalen Theaters durch physische Zuschauerbeteiligung hat sich die Gruppe für diese Produktion beurlaubt. Eher ist Das letzte Wort eine Ostküsten-Intellektuellen-Performance. Blanchots Wunsch nach einer Neuordnung aus einer Leere der Sprache heraus ist mit den Mitteln des Theaters schwer zu erfüllen. Wenn die Unzulänglichkeit von Sprache das Thema ist, kann sie gleichzeitig die Form sein? Zu viele Worte sind hier auf der Bühne. Das Vertrauen in die Bilder ist nicht groß genug. Zu recht. Der Zuschauer wird nicht wirklich vom Wunsch nach dem Verstehen einer Geschichte befreit. Der Versuch, Theater zu machen, das unsere fernsehgeprägten Sehgewohnheiten nutzt und reflektiert, ist wieder einmal gescheitert. Schnelle visuelle Veränderungen und Bruchstücke lassen weder TV-Clips noch (Alp-)Traumwelten entstehen. Die Auflösung linearen Erzählens führt nicht zu assoziativer Wahrnehmung, sondern zu der Erkenntnis, daß Sprache das schwächste Glied multimedialer Kommunikationsmöglichkeiten ist.

Das letzte Wort ist kein Wort mehr, aber auch nicht der Beginn von etwas Neuem, schreibt Blanchot. Dieses Schicksal teilt die Produktion des Alchemical Theatre.

Matthias von Hartz