Larven ignorieren das Gentech-Gift

Gentechnisch aufgerüstete Baumwolle versagte im ersten großflächigen Praxis-Test  ■ Von Wiebke Rögener

Kleine Insektenlarven ließen die Aktienkurse purzeln. In den Baumwollanbaugebieten der USA haben sich als cotton bollworm bekannte Raupen breitgemacht. Eine solche Schädlingsplage wäre an sich noch nichts Ungewöhnliches. Doch die Tierchen gedeihen dort, wo sie eigentlich keine Überlebenschance haben dürften: Befallen sind mehrere tausend Hektar, die mit sogenannten Bt- Cotton bepflanzt sind. Diese Baumwolle aus dem Genlabor der Firma Monsanto enthält Erbmaterial des Bakteriums Bacillus thuringiensis und sollte dadurch resistent gegen Schadinsekten sein. So wurde sie jedenfalls noch im Frühjahr auf der 23. Internationalen Baumwollkonferenz in Bremen vorgestellt.

Die unter der Bezeichnung Bollgard verkaufte Sorte wächst nun auf fast einer Million Hektar – annähernd einem Siebtel der amerikanischen Baumwollanbaufläche. Damit avancierte die in diesem Jahr erstmals angebaute Bt- Baumwolle zur ökonomisch wichtigsten Gentech-Pflanze in den USA.

Nachdem der Flop bekannt wurde, sanken die Aktien der Firma Delta and Pine Land, die Bollgard vertreibt, rasch von 33 auf 26 US-Dollar. Mitte Juli wurde der Handel der Aktien an der New Yorker Börse ausgesetzt. Noch ist unklar, warum der Plan der Geningenieure nicht aufging. Doch klammheimliche Freude scheint kaum angebracht: Das natürliche Insektengift des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis wird in der Landwirtschaft seit langem eingesetzt und ist sogar nach den Grundsätzen des biologischen Anbaus zulässig. Um so schwerer wiegen Befürchtungen, daß durch den Einbau des Bt-Gens in eine steigende Zahl von Nutzpflanzen immer mehr Schadinsekten resistent werden könnten. Die US-Umweltbehörde hatte daher einen Resistenzmanagementplan zur Auflage gemacht. Dieser verlangte, daß möglichst alle Insekten absterben, die mit der Gentech-Baumwolle in Kontakt kommen. Das Ziel wurde offenbar weit verfehlt. Die „Union of Concerned Scientists“, ein Zusammenschluß kritischer Wissenschaftler, fordert jetzt, die Behörde müsse die im letzten Herbst erteilte Zulassung für Bt-Cotton zurücknehmen und den weiteren Verkauf stoppen. Baumwollfarmer gehen derweil dazu über, die angeblich resistenten Pflanzen wie gewohnt mit Insektiziden einzunebeln.

Weltweit wird mehr als ein Viertel aller Pestizide im Baumwollanbau versprüht, der nur drei Prozent der Agrarfläche einnimmt. Seit den dreißiger Jahren ist die weltweite Anbaufläche für Baumwolle mit 33 Millionen Hektar praktisch gleich geblieben, die Produktion hat sich seitdem durch intensivierte Bewirtschaftung etwa verdreifacht, berichtet das Hamburger Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN) in der Broschüre „Cotton Connection“. Doch scheint diese Form der Ertragssteigerung jetzt an Grenzen zu stoßen. Widerstandsfähige lokale Baumwollsorten wurden verdrängt, Resistenzen auch gegen hochgiftige Schädlingsbekämpfungsmittel nehmen zu: Insektizide sind heute in den meisten Anbaustätten der größte Einzelfaktor in den Produktionskosten.

Hinzu kommt eine wachsende Beunruhigung der Verbraucher. Vor allem Allergiker spüren oft hautnah: Wo „100 Prozent Baumwolle“ draufsteht, kann noch jede Menge bedenklicher Chemikalien drin sein. Mit einem auf der Bremer Baumwolltagung vorgestellten Biotestverfahren ließen sich in Rohbaumwolle erhebliche Mengen von Pestiziden nachweisen. Zu den Unkrautvernichtern, Entlaubungsmitteln und Insektiziden gesellen sich im Verlauf der Textilproduktion Chemikalien, die das Spinnen und Weben erleichtern, Ausrüstungsmittel und Farbstoffe. Was dann bügelfrei, knitterfest und schmutzabweisend in der Boutique oder vom Wühltisch erworben wird, hat mit „reiner Naturfaser“ wenig zu tun. Doch die Bedeutung des Faktors Ökologie für das Käuferverhalten wird zunehmen. Das erwartet jedenfalls der Otto-Versand, auf dem Bremer Kongreß vertreten durch den Leiter der Umweltkoordination, Johannes Merck. Er geht davon aus, daß sich belastete Textilien langfristig nicht mehr verkaufen lassen.

Ob die Verbraucher Kleidung aus genmanipulierter Baumwolle wollen, weiß bisher niemand. Vorläufig basteln die Gentechnik-Firmen fleißig weiter am Erbmaterial von King Cotton. So wächst seit 1995 in den USA Baumwolle, die von der Firma Calgene mit Resistenz gegen das Unkrautvernichtungsmittel Buctril versehen wurde. Die Freisetzung einer von Monsanto entwickelten Sorte, die unbeeindruckt die Behandlung mit dem Breitspektrum-Herbizid Glyphosphat übersteht, ist geplant. Für die Zukunft streben die Gentech-Firmen weitere „Verbesserungen“ der Natur an: längere und festere Baumwollfasern oder gar eine direkt als Mischfaser wachsende „Biopolyester-Baumwolle“ sollen in einigen Jahren den Markt erobern. Auch jeansblaue Baumwolle könnte auf den Feldern wachsen. Entsprechende Experimente sind bei der Firma Calgene bereits angelaufen. Ob wir dieses blaue Wunder erleben werden, bleibt abzuwarten.

Das Versagen von Bollgard läßt zumindest Skepsis gegenüber solchen Plänen aufkommen. Die Formel „Gentechnik statt Pestizide“ scheint jedenfalls nicht aufzugehen. Wer statt dessen die geringeren Erträge, die der Verzicht auf Agrochemikalien mit sich bringt, akzeptieren, die Anbauflächen aber nicht zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion ausweiten will, kommt nicht umhin festzustellen: Wir müssen mit weniger Klamotten auskommen. Anstelle der mittels Sandstrahlgebläse, „stone- wash“-Verfahren und Bleichmitteln künstlich zum „used look“ gealterten Stoffe müßte wieder Kleidung hergestellt und nachgefragt werden, die in Qualität und Design weit mehr als eine Modesaison übersteht. Eine nachhaltige Baumwollproduktion ist mit der derzeitigen Nutzungsdauer von Textilien zwischen Erlebniseinkauf und Altkleidersammlung nicht vereinbar.