Rote Khmer zerfleischen sich

In der Pol-Pot-Truppe sind heftige Machtkämpfe ausgebrochen. Die langjährige Nummer zwei der Organisation hat sich selbständig gemacht  ■ Von Jutta Lietsch

Siebzehn Jahre ist es her, seitdem die grausame Herrschaft der Roten Khmer über Kambodscha endete. Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen wirklich unter ihrem Regime zwischen 1975 und 1979 umkamen, wahrscheinlich weit mehr als eine Million. Die Führer der Roten Khmer, die ein ethnisch reines, urkommunistisches und abgeschottetes Kambodscha formen wollten, wurden niemals vor einem internationalen Tribunal zur Rechenschaft gezogen. Doch jetzt scheint die Gruppe dabei zu sein, sich selbst in Fraktionskämpfen aufzureiben.

Erste Hinweise auf den Bruch innerhalb der Führung gab es am vergangenen Donnerstag, als Kambodschas Co-Premierminister Hun Sen bekannt gab, zwei hochrangige Rote-Khmer-Militärs, die wichtige Stützpunkte der Guerillaorganisation kontrollierten, seien mit über 3.000 Kämpfern zur Regierung übergelaufen.

Doch die Berichte waren offenbar verfrüht: Die beiden stritten ab, übergelaufen zu sein. Statt dessen erklärten sie, sie hätten sich Ieng Sary, der jahrzehntelang an zweiter Stelle hinter Pol Pot stand, unterstellt. Der geheime Rote- Khmer-Sender verkündete, Ieng Sary sei ein „Verräter“ und gehöre „vernichtet“.

Am Samstag erklärte der kambodschanische Premierminister, daß seine Regierung seit Monaten mit dem Rote-Khmer-Funktionär verhandelt habe. Er lobte dabei Ieng Sary als einen Mann, der „gute Arbeit geleistet hat, die das Leben von zehntausend Menschen wert ist“. Vergangene Fehler müßten beiseite geräumt werden.

Diese Äußerung rief in Kambodscha Erstaunen und Bestürzung hervor: Was meinte der Premierminister, wenn er von „vergangenen Fehlern“ des Rote-Khmer- Funktionärs sprach? Dessen Mitverantwortung für das millionenfache Sterben in Kambodscha?

Bislang ist nicht klar, wo sich Ieng Sary derzeit aufhält. Der Rote-Khmer-Sender verkündete, dieser „Kopf der Verräter“ sei bereits am 5. August geflohen, aber nicht in die kambodschanische Hauptstadt. Begründung: Er verfüge über „Hunderte Millionen Dollars, die er aus chinesischen Hilfslieferungen gestohlen hat, deshalb kann er leicht im Ausland leben“.

In Pailin, einem wichtigen Rote- Khmer-Stützpunkt, dessen militärischer Chef zu den Abtrünnigen gehört, war die Lage gestern gespannt. Die dort stationierten Truppen erwarteten einen Angriff von zwei Seiten: der Gegenfraktion und der Regierung. Pailin war nicht erst seit dem Ende der offiziellen Unterstützung Chinas für die Roten Khmer wegen ihres Reichtums an Edelsteinen und der Nähe zum thailändischen Markt ein wirtschaftlich wichtiger Stützpunkt.

Möglicherweise war es ein Streit um die Verteilung der Pfründen, die jetzt den Bruch in der Roten- Khmer-Führung beschleunigte. Ein Funktionär in dem Stützpunkt sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuter, die „Hardliner- Fraktion“ um Pol Pot und seinen Nachfolger Khieu Samphan habe im vergangenen Monat den Kommandanten des Stützpunkts aufgefordert, den Besitz von Motorrädern und Privatwagen zu verbieten. Dieser habe sich jedoch geweigert – und statt dessen „die Unabhängigkeit“ erklärt.

In der Hauptstadt Phnom Penh gibt es derweil heftige Kritik an Regierungschef Hun Sen. Seine Koalitionspartner von der FUNCINPEC-Partei werfen ihm vor, er habe die Öffentlichkeit zu früh über die Verhandlungen mit der abtrünnigen Rote-Khmer- Fraktion informiert. Das ist neue Nahrung für den grimmigen Streit zwischen den beiden Regierungchefs Hun Sen und seinem Amtskollegen Ranariddh, die sich die Regierung seit den von der UNO organisierten Wahlen von 1993 teilen. Beide sprechen seit Wochen kaum verhüllt davon, den anderen aus der Regierung zu werfen. Der eine, Hun Sen – der noch aus der 1979 von Vietnam eingesetzten Regierungs stammt –, sieht sich von Mordkomplotten und Verschwörungen bedroht. Der andere beschuldigt seinen Co-Premier, er stecke hinter massiven Einschüchterungen seiner Parteianhänger.

Premier Hun Sen wolle das Verdienst für die Verhandlungen mit der abgespaltenen Fraktion der Roten Khmer allein einheimsen, meint ein hoher Funktionär: „Das ist eine heikle Angelegenheit. Wir dürfen uns nicht freuen, bevor wir den Tiger wirklich erlegt haben.“