Derrys Stadtmauer bleibt unerschüttert

■ Nordirlands Protestanten verzichten auf provozierenden Triumphmarsch

Dublin (taz) – Die erwarteten Krawalle im nordirischen Derry sind am Samstag weitgehend ausgeblieben. Die protestantischen „Apprentice Boys“ verzichteten in letzter Minute auf ihre Parade auf der Stadtmauer, die zum Teil am katholischen Bogside-Viertel vorbeiführt. Statt dessen versammelten sich rund 10.000 Protestanten im Stadtzentrum. Alistair Simpson, der Chef der „Apprentice Boys“, erklärte ihnen, daß man „zu einem späteren Zeitpunkt, den wir selbst bestimmen, die historische Mauer“ entlanglaufen werde. Im Gegenzug sagten die Bogside-Bewohner ihre Demonstration ab.

Nachdem der protestantische Oranierorden im vorigen Monat seine Parade durch ein katholisches Wohnviertel in Portadown gewaltsam durchgesetzt hatte, wollte der britische Nordirlandminister Patrick Mayhew diesmal Rückgrat zeigen. Damals hatte man ihm vorgeworfen, er habe dem protestantischen Säbelrasseln nachgegeben und die Polizei auf die katholischen Anwohner losgelassen. Letzte Woche ließ Mayhew die Stadtmauer in Derry mit Stacheldraht absperren.

Nach der Parade in Derry kam es in Dunloy zu Ausschreitungen, als rund hundert Teilnehmer auf dem Rückweg durch den katholischen Ort marschieren wollten. Neun Menschen wurden verletzt. In der Nacht zum Sonntag brach in der Innenstadt von Derry eine Straßenschlacht aus, als katholische Jugendliche ein Kriegsdenkmal abfackeln wollten, an dem die „Apprentice Boys“ einen Kranz niedergelegt hatten.

Sinn-Féin-Vizechef Martin McGuinness begrüßte die Entscheidung der „Apprentice Boys“, auf die Mauerparade zu verzichten, sagte jedoch: „Die Drohung, an der Bogside entlang zu marschieren, steht weiter im Raum.“

Die Parade hat für die Protestanten einen hohen Symbolgehalt. 1689 schlossen 13 Lehrjungen die Stadttore vor den anrückenden Truppen des katholischen Königs Jakob II., die Belagerung dauerte elf Monate. 1969 kam es an dem Jahrestag zu schweren Zusammenstößen zwischen Protestanten und Katholiken – die britische Regierung schickte die Armee. 1971 erließ die Regierung drei Tage vor der Parade in Derry ihr Internierungsgesetz, das sich nur gegen Katholiken richtete: Ohne Anklage wurden Hunderte verhaftet.

Sinn Féin hatte gestern zum 25. Jahrestag dieses Gesetzes zu einer Demonstration in Belfast aufgerufen. Protestanten hatten angekündigt, die Demonstration zu verhindern. Bis zum Abend zeichnete sich kein Kompromiß ab. Ralf Sotscheck