Bequeme Mehrheit für Rußlands Premier

Während in Tschetschenien gekämpft wird, bestätigt die Duma Viktor Tschernomyrdin als Regierungschef. Der will ein bißchen weg von der reinen Marktwirtschaft  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Rußlands Parlament, die Staatsduma, hat am Wochenende den Wunschkandidaten Präsident Jelzins, Viktor Tschernomyrdin, auf dem Posten des Premierministers bestätigt. 314 der 450 Abgeordneten sprachen ihm ihr Vertrauen aus, lediglich 85 stimmten gegen ihn. Damit erhielt der neue Premier auch einen Großteil der Stimmen der kommunistischen Fraktion, die mehr als ein Drittel der Sitze im Parlament innehat. Das Ergebnis kam nicht überraschend, denn schon im Vorfeld signalisierte die Opposition ihre Bereitschaft, dem Premier nochmals ihren Segen zu geben. Vor dem Wahlgang stand Tschernomyrdin dem Parlament, das mit der Regierungspolitik harsch ins Gericht ging, Rede und Antwort. Er kündigte an, in der Wirtschaftspolitik maßgebliche Veränderungen einzuleiten. Vor der Abstimmung hatte Tschernomyrdin mit allen Fraktionen intensive Gespräche geführt und den linken Kräften zugesichert, „einen Übergang von der strikten monetaristischen Linie zu mehr Unterstützung des produzierenden Sektors“ einzuleiten.

Die Zurückhaltung der Kommunisten erklärt indes noch ein weiterer Faktor. Nach der russischen Verfassung hat die Duma das Recht, den Kandidaten des Präsidenten dreimal abzulehnen. Danach obliegt es indes dem Kremlchef, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Die Duma fürchtet, widerspenstiges Verhalten könnte den Konflikt mit der Exekutive erneut anheizen. Nicht zuletzt bangen die Deputierten um ihre bequemen Sessel. Darüber hinaus ist die Opposition mit den Schwächen des Regierungschefs bestens vertraut und daher nicht gezwungen, ihrer Kritik eine andere Richtung zu verleihen. Tschernomyrdin wird im Laufe der nächsten Wochen das neue Kabinett vorstellen. Die Opposition, die sich auf die Regionalwahlen im Herbst vorbereitet, die die Zusammensetzung des Oberhauses der Duma entscheiden, macht sich kaum Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung.

Selbstverständlich wurde das Thema Tschetschenien nicht ausgespart. Tschernomyrdin sprach sich gegen eine rein militärsche Lösung aus, „die in eine Sackgasse führt“. Bisher halten die Kämpfe im Zentrum Grosnys unvermindert an. Sogar Kinder sollen jetzt zu den Waffen greifen. Die Russen bestätigten 200 gefallene Soldaten, über 500 Verwundete und mindestens 50 Vermißte. Tatsächlich dürften die Verluste weitaus höher sein. Jelzin ernannte den Chef des Sicherheitsrats, Alexander Lebed, zu seinem Vertreter in Tschetschenien und enthob den bisherigen Beauftragten Oleg Lobow seines Amtes. Unter Vorsitz Tschernomyrdins tagte gestern eine eilig von Jelzin zusammengerufene Kommission, die den „groben Versäumnisse“ der Verantwortlichen in Grosny auf den Grund gehen soll. Bewohner horteten seit Tagen Lebensmittel und Tausende Bürger verließen am Vorabend des Angriffs die Stadt. Trotz solch deutlicher Hinweise verharrte der Stab in Untätigkeit. Der Sekretär der Kaukasuskommission der Duma, Alexej Waschtschenko, vermutete daher, der Angriff könne nur in Komplizenschaft mit den russischen Militärs durchgezogen worden sein. Die führenden Armeeangehörigen vor Ort haben kein Interesse an einer friedlichen Lösung. Solange Leichen rollen, rollt auch der Rubel.