Tabakkonzern haftet für Raucherlunge

■ US-Gericht verurteilt Tabakkonzern Brown & Williamson, 750.000 Dollar Entschädigung an krebskranken Exraucher zu zahlen. Urteil löst Kurssturz an der Wall Street aus: Philip Morris verliert elf Milliarden Dollar an Wert

Berlin (taz) – Zum erstenmal ist ein Tabakkonzern dazu verurteilt worden, einem krebskranken Raucher direkt eine Entschädigung zahlen zu müssen. Ein US-Gericht in Florida hat am Freitag (Ortszeit) entschieden, daß der Hersteller der Marke Lucky Strike, Brown & Williamson, dem Exraucher Grady Carter 750.000 Dollar Entschädigung zahlen muß. Bei dem 66jährigen Carter, der 1947 begonnen hatte, Lucky Strike zu qualmen, wurde 1991 Lungenkrebs festgestellt und ein Teil seiner Lunge entfernt. Die Jury verurteilte den zur britischen BAT-Gruppe gehörenden Konzern, weil die Firma eine unnötig gefährliches Produkt verkaufe und die Raucher nicht ausreichend über die gesundheitlichen Folgen ihrer Sucht informiert habe.

Die 750.000 Dollar (rund 1,1 Millionen Mark) könnte Brown & Williamson aus der Portokasse bezahlen. Zudem kündigte der Konzern am Samstag an, in die Berufung gehen zu wollen. Doch das Gerichtsverfahren signalisiert, daß die Tabakkonzerne schweren Zeiten entgegengehen. Erstens haben die Konzerne bislang noch nie einem einzelnen Raucher Schadenersatz zahlen müssen. Zweitens haben in den vergangenen Monaten auch neun US- Bundesstaaten, Städte wie San Francisco und das Los Angeles County Klage gegen die Tabakindustrie eingereicht. In dem Prozeß in Florida waren interne Memoranden von Brown & Williamson aufgetaucht, in denen der damalige Chef des Konzerns schon 1963 schrieb: „Unser Geschäft ist wohl der Verkauf von Nikotin, einer süchtigmachenden Droge.“

Das Urteil, das kurz vor Börsenschluß am Freitag erging, löste einen Kurssturz bei den Zigarettenwerten aus. Besonders hart traf es den weltgrößten Nahrungsmittel- und Zigarettenkonzern Philip Morris. Seine Aktienkurse fielen um mehr als 13 Prozent. In wenigen Stunden hatten sich dabei 11,25 Milliarden Dollar Aktienkapital in blauen Rauch aufgelöst, rechnete die Los Angeles Times vor.

Die Klagen von Rauchern und Bundesstaaten sind nicht die einzigen Sorgen, die die Tabakindustrie (US-Jahresumsatz 50 Mrd. Dollar) quälen. Obwohl der Zigarettenkonsum zumindest in den USA 1995 stabil blieb, droht wirtschaftliches Ungemach von allen Seiten. Drei Beispiele:

* Der Chemiekonzern 3M, in den USA größter Betreiber von Plakatwänden, will ab 1997 keine Zigarettenwerbung mehr auf seinen Plakatwänden dulden.

* Die American Medical Association, Zusammenschluß der US-amerikanischen Ärzte, hat für ihre Mitglieder eine Liste von 13 im Tabakgeschäft tätigen Konzernen und über 1.400 Investmentgesellschaften, die Geld in die Branche gesteckt haben, zusammengestellt. Die Liste wurde verschickt mit der Aufforderung, etwaige Aktienpakete und Beteiligungen an diese Firmen aufzulösen.

* Wissenschaftler der Universität Bristol berichteten im Juli in der größten bislang zu diesem Thema angestellten Studie, daß eine rauchfreie Umgebung die Fälle von plötzlichem Kindstod um bis zu zwei Drittel vermindern könne.

Der Kampf um den blauen Dunst ist in den USA schließlich sogar Wahlkampfthema geworden. Die Clinton-Regierung wirft dem republikanischen Herausforderer Bob Dole vor, im Sold der Tabakindustrie zu stehen. Dole hatte in einem Fernsehinterview Zweifel geäußert, daß Rauchen süchtig mache. Clintons Wahlhelfer errechneten daraufhin, daß Dole seit 1979 etwa 250.000 Dollar Wahlkampfhilfe und diverse Freiflüge von Tabakkonzernen erhalten habe. Hermann-Josef Tenhagen