„Keine Sensationspalette des ewig Neuen“

■ Ein Gespräch mit Dieter Jaenicke und Gabriele Naumann zum 13. Sommertheater Festival auf Kampnagel

taz: Das diesjährige Sommertheater hat einen deutlich anderen Charakter als die vorherigen. Die beiden wichtigsten Änderungen sind, daß es nur noch zwei Wochen dauert und daß es einen großen „Nachwuchs“-Schwerpunkt gibt. Wie kam es dazu?

Dieter Jaenicke: Die zeitliche Beschränkung liegt daran, daß wir mit unseren finanziellen Mitteln Grenzen haben. Wir bekommen seit Jahren dieselbe Subvention, aber die Kosten steigen permanent. Und gerade im Bereich der Performing Arts, einer sich noch immer rasch entwickelnden Szene, steigen die Ausgaben für Technik und, weil sich auch die Independent-Szene immer weiter professionalisiert, auch die Gagen. Wir können aber nicht an der Qualität sparen und wir wollen ein kompaktes Festival behalten, um die typische Atmosphäre nicht zu verlieren. Deswegen schien uns die Reduzierung die beste Lösung. Aber wir gehen nicht davon aus, daß das immer so bleibt.

Die Deutlichkeit des Schnittes überrascht aber doch. Ein Drittel weniger Zeit, fast die Hälfte weniger Veranstaltungen (47 statt 79 letztes Jahr).

Gabriele Naumann: Für uns sieht das etwas anders aus, denn wir rechnen mehr in Produktionen. Und dadurch, daß wir in der Tanzwerkstatt drei Choreografen an einem Abend präsentieren, sind es tatsächlich nur zwei Produktionen weniger als im letzten Jahr. Da wir diesen Compagnien die gleichen Bedingungen bieten wie den anderen Künstlern, reduziert sich für uns nicht so viel.

Jaenicke: Es war schon in den letzten Jahren so, daß wir mit dem Geld, das wir zur Verfügung hatten, das Programm nicht mehr bezahlen konnten. Deswegen mußten wir so drastisch runtergehen, um das Festival wieder bezahlbar zu machen.

Befürchtet ihr nicht den Ruch, als Nachwuchsfestival abgestempelt zu werden, das sich den richtigen Glanz großer Namen nicht mehr leisten kann?

Naumann: Die Tanzwerkstatt ist keinerlei Kostenersparnis. Es wäre organisatorisch, technisch und finanziell wesentlich unaufwendiger, dafür zwei bekannte Compagnien zu nehmen. Vielmehr war das eine konzeptionelle Entscheidung, obwohl wir wußten, das wird nicht billig. Deswegen nimmt die Tanzwerkstatt auch einen relativ großen Platz im Programm ein.

Aber ist das auch deckungsgleich mit dem, was das Publikum in Hamburg interessiert?

Naumann: Wir haben es immer vermieden und werden das auch weiterhin tun, nur auf große Namen zu setzen. Das ist die Stärke dieses Festivals, daß es den exklusiven Rahmen nicht außer Acht läßt. Wir kümmern uns seit vielen Jahren um eine Künstlerszene, die eben noch nicht im Zentrum des internationalen Interesses steht. Und dabei ist uns das Hamburger Publikum immer mit Neugier gefolgt.

Jaenicke: Viele große Festivals haben in der ökonomischen Krise mit Experimenten Publikum verloren und damit das politische Backing. Deswegen haben sie eine kommerzielle Kehrtwende gemacht, obwohl sie selbst sagen, daß das falsch ist. Aber es muß noch Festivals geben, die die künstlerische Bewegung in Gang halten, weil wir ansonsten selbst unsere künstlerische Basis zerstören.

Ihr habt seit Movimientos 92 den starken Schwerpunkt „Spanien/Portugal/Lateinamerika“ beibehalten. Ist dies der Bedeutung dieser Künstler in der globalen Konkurrenz wirklich angemessen?

Jaenicke: Wir haben seit dem Movimientos-Projekt mehr Kontakte in Lateinamerika als irgendjemand sonst in Europa. Und wir haben nach dem Festival 1992 beschlossen, daß wir das ausnützen wollen, um mit dortigen Compagnien weiter zu arbeiten. Wir haben aber auch damit begonnen, im asiatischen und afrikanischen Bereich Kontakte aufzubauen. Und das wird sich in den nächsten Jahren noch sehr viel stärker als bisher im Programm umsetzen. Unsere Absicht ist es, die Recherche für das Festival weltweit zu entwickeln. Das Lateinamerika-Projekt war dazu der Ausgangspunkt.

Sicherlich suchen wir aber auch Kontinuitäten. Etwa mit Angels Margarit, die über all die Jahre immer wieder Projekte hier gemacht hat; aber auch mit anderen Künstlern. Und das ist wichtig, damit ein Festival nicht nur die Sensationspalette des ewig Neuen wird. Das macht einen selbst und auch Künstler sehr schnell kaputt. Weil der Ruf nach dem immer Neuen die eigentliche Identität eines Künstlers mißachtet. Uns ist die Kategorie der Authentizität aber die wichtigere.

Geht mit diesem in die Ferne schweifen nicht auch gehörig was verloren, nämlich die Auseinandersetzung mit dem europäischen Kontext?

Naumann: Ich glaube, es wird etwas gewonnen. Denn europäische Produktionen werden ja auf Kampnagel viel gezeigt. Wenn man aber eine Veränderung der Wahrnehmung erreichen will, dann ist diese Öffnung nach außen ungemein wichtig. Das fordert natürlich etwas mehr Anstrengung, aber ich glaube, daß das, zumindest auf lange Sicht, wieder eine konstruktive Irritation ergibt, wie sie die Performing Arts in Europa vor 15 Jahren ausgelöst haben.

Jaenicke: Wir wollen ja keine Rundumversorgung leisten. Wir wollen unseren Mosaikstein dazugeben, wenn über „Fremdheit“, über kulturelle Hintergründe und Zusammenhänge in anderen Ländern diskutiert wird. Und ich glaube, die Neugier auf das Fremde ist etwas, daß uns in Deutschland nach wie vor sehr, sehr gut tut. Denn wir sind in Wahrheit mit immer mehr Kulturen immer intensiver verbunden und alle globalen Probleme, die über die politische und ökologische Zukunft der Welt entscheiden, lassen sich ohne eine kulturelle Kenntnis nicht lösen.

Im Bereich der Kunst heißt das natürlich auch, daß der Begriff des „Zeitgenössischen“, den die europäische und amerikanische Kultur für sich gepachtet zu haben schien, einfach nicht mehr so eng betrachtet werden kann. Und unter diesem Gesichtspunkt liegen wir mit unserem Programm, glaube ich, sehr richtig.

Bis auf zwei Sprechtheaterstücke wurden diesmal nur Tanzproduktionen eingeladen. Warum diese Dominanz?

Naumann: Viele Produktionen sind ja keineswegs klassische Tanzproduktionen, sondern von sehr grenzüberschreitenden Ansätzen getragen. Wir glauben aber durchaus, daß der Tanz die schwächste der theatralischen Künste ist und daß in der momentanen Zeit der Kürzungen viel Lobby-Arbeit für den Tanz geleistet werden muß. Der Tanz ist noch eine sehr junge Kunstform, doch dabei hat er sehr viel Innovatives geleistet. Und in dieser Zeit der Sparzwänge, wo dann ganz schnell wieder auf das traditionell Bekannte zurückgegriffen wird, muß man verstärkt darauf hinweisen, daß der Tanz einen gleichberechtigten Rang neben Theater, Bildender Kunst und Literatur verdient hat. Deswegen haben wir ihn noch mehr als sonst ins Zentrum gestellt.

Fragen: Till Briegleb