Dämmern und der besondere Blick

■ „Jazz in Hamburg“ versammelte am Wochenende die einheimische Szene

Pommesbuden und große Gesangsanlagen stehen sich beim Festival Jazz in Hamburg gegenüber, und auf den Wiesen machen es sich repräsentative Bewohner des Freizeitparks Planten & Blomen gemütlich. Die Wiese ist aber nicht nur der Ort, wo man auf grünem Untergrund mit Naturduft den Tapetenwechsel endlich einmal erfolgreich hinter sich gebracht hat. Es ist oder es soll auf der Wiese auch ein bißchen sein wie nach der Revolution, wo wir uns vom schönsten Platz aus – also der in Eleganz, seelischem Einklang und Gras sich selber gut festhaltenden Landschaft – unsere Gedanken machen.

Zum Denken gehört beim Festival noch ein besonderer Blick, einer, der so hübsch ins Leere geblinzelt wird, so daß jeder glaubt, wirklich erst oder nur hier und nicht in der Bäckerei um die Ecke seiner Wohnung philosophisch zu sich zu kommen. Sobald die Besucher des Festivals ihre Blicke und den dazugehörigen Anblick in Übereinstimmung gebracht haben, geht es richtig los. Die Stimmung wird smooth: Das massenhafte Erscheinen beim Jazz-Festival zwischen Teichen und Beeten belegt nicht die Stimmung von einzelnen, sondern die Demokratiefähigkeit aller.

Es spielt die Gruppe mit dem milden Schneid, den Songs für alle Fälle sowie einigen „schüchternen Persönlichkeiten mit hochtrabendem Namen“ in der Band. Diese Gruppe mit dem süßen Namen Naked Navy praktiziert angelerntes Muckertum ohne Reue. Zwischen nett schlappem Funk und Nummern, die aus einer Art gejazztem (sprich: geh-iahztähm) Insiderschenkelklopfen entstanden sein könnten, geht es hin und her.

Während der Zugabe von Naked Navy ergeben sich Kathrin Achinger und Matthias Arfmann den familiären Gepflogenheiten vor Ort und holen Mal um Mal ihren durch die Reihen pesenden jungen Sohn David ein. Ihr musikmachender Kollege Jake motzt währenddessen seinen Bericht über das immer mehr grassierende, in Deutschland noch nicht offiziell als Krankheit anerkannte „Attention deficit syndrome“ zur auto-destruktiven Verbalattacke auf. Zusammen mit einer kleinen Gruppe junger Menschen, die auf recht demonstrative Weise ihre festen Schuhe und dicken Socken ausziehen, bildet Jake die Ausnahme von der durchweg aggressiven Launigkeit um ihn herum.

Der Bassklarinettist und Vibraphonist Gunter Hampel unternimmt mitten in den hereindämmernden Abend hinein den Versuch, das gespannte Publikum herauszufordern. Nachdem Hampel mit seinem Engagement ein paar Stücke unter Spannung gesetzt hat, ziehen ein paar deutsch und englisch rappende Jugendliche mit ihren Versen unberührt von Hampels instrumentalen Angeboten „ihr Ding“ durch. Es lag wirklich nicht an Hampel, wenn in der Folge ein ratlos behauptetes Jazzmatazz-as-usual seinen Lauf nahm. Echauffiert zeigte sich aber nur David Achinger, der mit zielsicher auf Essensteller geworfenen Gurkenscheiben und Kieselsteinen wenigstens ein paar Jazzfans in die Verbindlichkeit zurückbugsieren wollte. Kristof Schreuf