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: Ein Hektar Nichts

„Das Bitterfelder Gefühl“, ARD, So., 22.25 Uhr

„Zu guter Letzt“, sagt der Alt- LPGler am Anfang, dem das Bitterfelder Gift die Existenz kostete, „zu guter Letzt“, sagt er biersicher, „haben nur die Kleinen bezahlt.“ Bitterfeld kennen wir. Bitterfeld ist nicht Stadt, ist Gift, stilles Sterben am Silbersee. Wie gut, haben wir manchmal gedacht, das Bitterfeld Bitterfeld heißt. Da kann man schöne traurige Sätze machen. Und wenn das Fernsehen nach Bitterfeld fährt, wird es den Graufilter einpacken.

Tatsächlich hat sich die Kamera für die Langzeitreportage immer wieder am Rand der Industriebrache postiert: Schornsteine, die fallen, Bagger, die rosten, Abrißmaschinen, die zu getragener Musik ein majestätisches Werk verrichten. Ein Hektar Nichts, in dem ein kleiner Mensch steht. „Das ist die Baustelle“, sagt er, „wo ich meinen neuen Mercedes-Benz-Betrieb errichte.“ Mercedes in Bitterfeld, schöne Idee.

Diese Kamera, merken wir aber, als sie sich an den Mann heranzoomt, hat mehr gesucht, als das Vergehen der Industrieepoche auszumalen. Autor Thomas Füting ist in die Wohnzimmer gegangen. Das machen zwar viele, aber er ist geblieben, wiedergekommen, hat wohl auch mit den Bitterfeldern geredet, Bier getrunken, Deponien durchmessen, wenn die Kamera aus war. Er hat, was das schwerste ist, Normalität gefunden.

Vor drei Jahren hat Rolf auf einem der Schaufelbagger gesessen, später hat er sie zerlegt. Vor zwei Jahren wurde er arbeitslos, wie alle, aber er hatte was in Aussicht: Versicherungen, Außendienst. Dann ist er in den Neubau gezogen. Mit der Frau läuft es wieder. Jetzt hat er Arbeit – „Entkernung von Gebäuden. Sprich Schrott“ –, aber wie lange? Die LPGler trinken Biere voll Haß. „Die Kleinen“, sagt der vom Anfang, „sind immer die Gelackmeierten.“ Ein anderer – aus Hamburg – sitzt in seiner Spielhalle: „Man erzählt mehr hier, man ist mehr Mensch“, findet er. „Dieses Familiäre haben wir durch die Ellbogen verloren.“ Dann kommen Werbefilme von Bayer, die mit Steuergeldern investieren. Und in der Kirche von Groß Zöberitz verblassen Bilder.

Der Film jedoch gibt seine Bilder nicht preis. Wir sehen das bißchen Trostlosigkeit von Bitterfeld als die normale Trostlosigkeit von nebenan. „Und wer ist schlecht dran?“ fragt der Viehzüchter ohne Vieh – „Die Kleinen.“ Lutz Meier