■ Die Türkei durchbricht Washingtons Iran-Embargo
: Geste der Unabhängigkeit

Das islamistische Wahlkampfgerede des neuen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan war doch nicht allein Rhetorik, die mit dem Urnengang verfällt. Zwar hat er vieles davon inzwischen zurückgenommen – die Durchsetzung des islamischen Zinsverbotes im Bankwesen etwa –, aber in der Außen- und Wirtschaftspolitik will er seinem Land im Nahen Osten neue Spielräume erschließen. Doch auch wenn ihn seine erste Auslandsreise nun ausgerechnet zum Nachbarn Iran führte, ist das nicht gleichbedeutend mit einer Abkehr vom Westen und einer Neuorientierung in Richtung „islamischem“ Orient, höchstens eine Diversifizierung der Außenbeziehungen.

Dahinter reine (islamistische) Ideologie zu sehen, ist überzogen. Die Türkei und Iran verbinden vor allem ökonomische Interessen. Besonders der Iran ist auf die Türkei angewiesen, weil er einem US-Embargo unterliegt, nach dem auch ausländische Firmen bestraft werden sollen, die mit dem Mullah-Regime Geschäfte machen.

Teheran sucht also überall nach Embargobrechern und landete nun bei Erbakan seinen bisher größten Coup: Die vereinbarten Erdgaslieferungen haben mit umgerechnet knapp 30 Milliarden Mark ein größeres Volumen als das Geschäft mit der französischen Ölgesellschaft Total, das 1995 die US-Embargoverschärfung auslöste. Eine außenpolitische Ohrfeige ersten Ranges für Bill Clinton ist es also schon.

Auch wenn dessen Geschrei groß sein wird – die Allianz mit dem Nato-Partner Türkei wird trotzdem halten. Wie die Westeuropäer, Rußland und China, die beim Iran-Embargo gleichfalls nicht mitziehen, zeigt nun auch die Türkei, daß sie sich von den USA nicht alles vorschreiben lassen will, schon gar nicht die Wahl ihrer Geschäftspartner.

Andererseits hat Erbakans Regierung jüngst schon Bündnistreue bewiesen, als sie – entgegen allen Ankündigungen – die Stationierung britischer und US- amerikanischer Truppen in der Türkei zur Überwachung der Flugverbotszone im kurdischen Nordirak verlängerte. Und auch Rafsandschanis Aufforderung, das Militärabkommen mit Israel zu kündigen, wird zur allgemeinen Freude des Westens in Ankara auf taube Ohren stoßen. Thomas Ruttig