US-Spione im Brüsseler Computernetz

■ Konkurrenz belebt das Geschäft: CIA-Hacker zapfen auf der Suche nach Verhandlungsvorteilen die Datenbanken der EU an. Washington aber beschuldigt Frankreich der massiven Wirtschaftsspionage

Brüssel/Berlin (taz) – Die Mitglieder der EU-Kommission zerbrechen sich den Kopf über die Frage: Was weiß die US-Regierung, was der gemeine Europaabgeordnete nicht weiß. Wie vor kurzem bekannt wurde, haben Agenten des amerikanischen Geheimdienstes offensichtlich den Zentralcomputer der Europäischen Union angezapft. Spezialisten in der EU-Kommission versuchen jetzt herauszufinden, wie weit die hinterhältigen Schlapphüte dort vorgedrungen sind.

Der Verdacht kam schon Ende 1993 auf, als sich die EU-Beamten bei den Gatt-Verhandlungen über den gegenseitigen Zollabbau wunderten, warum die US-Verhandler selbst auf die allerüberraschendsten Vorstöße der Europäer bestens präpariert waren. So, wie es heute aussieht, kannte die US-Regierung dank der CIA die Verhandlungsstrategie der EU und wußte, wie weit sie mit ihren Forderungen gehen konnte. Doch bislang fehlte der Beweis. Datenwächter in der Luxemburger Zweigstelle des Europaparlaments sind nun fündig geworden. Sie haben im Datenmaterial virtuelle Fingerabdrücke gefunden, die eindeutig von Hackern mit US- Adresse stammen. Auch in den Dateien, die vor und während der Gatt-Verhandlungen angelegt wurden, sollen sich Spuren finden.

Jetzt hat die Parlamentsverwaltung einen britischen Spezialisten einfliegen lassen, der die Sache unter die Lupe nehmen soll. Denn daß sich die Schlapphüte über das Europaparlament eingeschlichen haben, gilt als sicher. Vermutlich liegt die Schwachstelle in der Software, die das Parlament teilweise von zwei US-Firmen einrichten ließ. Vielleicht hat sich da jemand ein paar Mark dazuverdient.

Die EU-Kommission in Brüssel sieht die Sache nach der ersten Aufregung inzwischen wieder gelassener. Es gebe keine Spuren, die darauf hindeuteten, daß die Schnüffler bis in die sensiblen Daten der Kommission vorgedrungen seien. Denn die sind durch ein eigenes Sicherungssystem auch vor dem Zugriff von Europaabgeordneten abgeschirmt. Was dem Parlament über laufende Verhandlungen, wie bei Gatt, weitergegeben werde, flüstert ein Kommissionbeamter, der nicht enttarnt werden möchte, sei nicht so heiß. „Wir sagen denen auch nicht alles.“

Allerdings bekommt die mutmaßliche Spionageattacke der CIA auf befreundete Länder derzeit eine besondere Brisanz. Zwischen der Europäischen Union und den USA bahnt sich wegen der angedrohten US-Sanktionen gegen europäische Firmen, die mit Kuba, Libyen und dem Iran Geschäfte machen, ein Handelskrieg an. Die Europäer feilen an einer passenden Antwort, die sich gegen US-Unternehmen richtet und so die US-Regierung abschrecken soll. Da wäre es für die USA schon interessant, vorzeitig zu wissen, wie diese Antwort aussehen soll. Die Entwürfe für das europäische Anti-Boykott-Gesetz sind im EU- Computer gespeichert.

Seit dem Ende des Kalten Krieges scheint sich der CIA neue Aufgaben zu suchen und hat sie offensichtlich in der Wirtschaftsspionage gefunden. Frankreich und Japan haben schon mehrfach dagegen protestiert, daß sich die CIA mit unschönen Absichten in ihren Datennetzen herumtreibe.

Damit ist die Geschichte aber noch lange nicht am Ende. Erst Ende Juli beschuldigte die CIA die Kollegen aus aller Welt, systematisch in den Vereinigten Staaten Wirtschaftsspionage zu betreiben. Besonders schlecht kamen in dem Bericht, den ein Geheimdienstausschuß im Februar in Auftrag gegen hatte, die Pariser Schlapphüte weg. Denn die CIA zählt Frankreich unter das halbe Dutzend der Länder, deren Nachrichtendienste ein besonders hohes Interesse an den Wirtschaftsgeheimnissen der USA entwickeln. Angeprangert wird, was die CIA offensichtlich selber macht: „Von der Regierung geleitete oder begleitete klandestine Bemühungen, um die Wirtschaftsgeheimnisse der Vereinigten Staaten zu sammeln.“

Jetzt wollen der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bonner Bundestag, Friedhelm Ost (CDU), und sein Stellvertreter Ernst Schwanhold (SPD) beim nächsten G-7-Treffen ein internationales Abkommen über ein Verbot der Wirtschaftsspionage anregen. Wenn dann mal nicht im Zuge der Verhandlungen der eine Dienst dem anderen wieder auf die Festplatte guckt. Alois Berger/Paul Neumann