Waffenruhe im Kaukasus greifbar

■ Überraschender Erfolg für Unterhändler Lebed: Bald neue Friedensverhandlungen. Weiter Kämpfe in Grosny

Moskau (taz) – Noch im Verlauf dieser Woche wollen Rußland und Tschetschenien einen Waffenstillstand aushandeln. Darauf einigten sich Sonntag nacht Alexander Lebed, der Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats und frisch ernannter Vertreter Boris Jelzins in Tschetschenien, und Aslan Maschadow, der Oberkommandierende der tschetschenischen Truppen. Gleichzeitig wurde beschlossen, auch den endgültigen Abzug der russischen Truppen vom Territorium der Kaukasusrepublik in die Verhandlungen mit aufzunehmen.

Lebed hatte es noch vor wenigen Tagen abgelehnt, mit den Rebellen Kontakte zu knüpfen. Die russische Gesprächsbereitschaft läßt sich auf den überwältigenden Erfolg der Separatisten zurückführen, die den Russen Grosny beinahe im Handstreich entrissen hatten. Lebed äußerte sich nach der Zusammenkunft zuversichtlich: Man habe eine gemeinsame Sprache gefunden und in 95 Prozent der Fragen Übereinkunft erzielt. Maschadow würdigte die russischen Vorschläge als „grundsätzlich neuen Zugang“.

Unterdessen wird im Zentrum Grosnys erbittert um jeden Meter weitergekämpft. Tschetschenischen Angaben zufolge fiel gestern nach tagelangem Widerstand das Sicherheitsministerium der moskautreuen Stellvertreterregierung. Gestern nachmittag erörterten Maschadow und der stellvertretende Kommandeur der russischen Truppen in Grosny, Konstantin Pulikowski, telefonisch erste Schritte, um die Gefechte einzustellen. „Wir haben uns schon heute geeinigt, wenigstens zu 90 Prozent das Feuer auf beiden Seiten einzuschränken“, sagte Pulikowski, den der Coup der Separatisten kalt erwischt hatte. „Sollten die Bedingungen eingehalten werden, ließe sich morgen schon über einen Rückzug der russischen Einheiten aus den jetzigen Stellungen verhandeln.“

Sollte es gelingen, die Feindseligkeit beizulegen, deutete Lebed seine Bereitschaft an, Verhandlungen über die Statusfrage Tschetscheniens aufzunehmen. Als Beispiel nannte er den Sonderstatus der Republik Tatarstan. Auch die Rebellen scheinen mit diesem Vorschlag einverstanden zu sein. Nach seinem ersten Besuch im Kaukasus räumte Lebed überraschend ein, die Wurzel des Krieges müßte in Moskau und seinen korrupten Finanzkreisen gesucht werden. Bisherige Lesart des Kreml: Man gehe in Tschetschenien gegen „Banditen“ vor. Klaus-Helge Donath