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Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 27

Es lag keine Weisheit darin. Brook legte die Zeitungsausschnitte über den Tod von Herbert Schmackes auf dem Nierentisch aus. Die habe ich auch alle gesammelt! maulte Denise. Wenn Sie wollen, können wir tauschen. Ich habe den Artikel vom vierundzwanzigsten Oktober aus der ,Morgenpost' doppelt! Oder wollen wir Artikelquartett spielen! Denise zückte einen Artikel! Mein Artikel aus der ,Welt' hat zwei Fotos! Brook griff sich den ersten Bericht von seinem Stapel. Er hatte vier Fotos. Die erste Runde ging an Brook. Mehr Spiel, Spaß und Spannung ging beiden schon im nächsten Moment verloren. Sie starrten auf die Artikel, die Fotos, die Kommentare; sie sagten weder Brook noch Denise etwas über den oder die Mörder. Und, Brook? Und Brook hatte nur wenige Indizien: eine Spur Montecristo aus Havanna. Einen blinden Griechen. Ein paar infantile Rentner, die Brauns und die Spekulationen aus der Presse; Zeichen, die keine Zeichen gaben. Sie verrieten Brook nichts über das Geschlecht, das Alter und das Aussehen seiner Mörder. Brook blieb ohne Sinn und Verstand. Aber mit Anstand. Er war wirklich verlegen und wußte nicht, was er Denise antworten sollte. Wie sollte Brook Denise auch etwas über seine Mißerfolge erzählen, ohne sich dabei selbst zu verletzen. Außerdem wollte Brook seinem Besuch Peinlichkeiten ersparen. Denise hatte sicherlich mehr von dem Besuch bei Kommissar Brook erwartet. Und Brook gab den Mann doch noch nicht auf. Also stellte Brook Denise einen Sherry, einen Kaffee und sich hin. So selbst von sich hingestellt, direkt neben dem nackten, drallen Oberschenkel von Denise, fühlte Brook sich verloren; genauer gesagt: einsam. Denise schenkte den Getränken keine Beachtung, Brook ein langgezogenes Gähnen. Zähne, Mandeln, Gaumen und Zunge waren ohne Belag. Brook kratzte sich eine Bartflechte wund, bis sich Blut unter seinen Fingernägeln staute. Sofort zog er den Mann wieder aus und stellte endlich die Fragen, wie Kommissare Fragen zu stellen haben. Brook zückte seine einzige Spur, die Montecristo aus Havanna. Sind Sie noch dran an dem Fall!? fragte ihn Denise. Aber sicher! sagte Brook. Weizen und seine Brauns können Sie sich aus dem Kopf schlagen; die klatschen keine Rentner. Und in dieser Nacht sind sie alle in der Großen Freiheit auf einem Konzert von L.L.J. Cool gewesen, hat die Carola auf jeden Fall zu mir gesagt. Brook dachte sich längst durch andere Dunkelheiten. Vermutlich war alles einfach eine einfache Geschichte. Ein undurchsichtiger Dritter. Ein großer Irrtum. Hat dein Großvater diese Marke geraucht? Denise naste an der Spur Montecristo aus Havanna entlang. So ein Kraut haben die Freunde von Opa geraucht. Freunde von Opa? spitzelte Brook. Ja, der alte Glatter und der Spinner Poller aus unserem Haus. Sie haben oft zusammen auf dem Spielplatz gesessen und zu dritt gespielt. Aber Opa hat nicht mit ihnen geraucht. Er hat sich einfach nicht getraut. Opa ist ja immer wie ein Kind gewesen. Er hatte vor mir Angst. Vor Schlägen. Vor Strafen. Vor dem Schlafzimmer, wenn ich in der Nacht das Licht bei ihm löschte. Nichts hat ihn mehr interessiert. Nichts hat er mehr gegessen. Nichts hat er mehr getrunken. Nichts hat ihm mehr geschmeckt. Er wollte sich austrocknen. Wissen Sie, Brook, zum Schluß wollte Opa nicht einmal mehr auf die Toilette gehen. Mehr Erinnerungen traute sich Denise nicht zu. Sie verschwieg Brook das Füttern, das Windeln und das Waschen von Herbert Schmackes, die ganze Scheiße von ihrem Großvater; ihren Job als Schwester Denise im Krankenhaus. Und diese grenzenlose, atemberaubende Freiheit nach seinem Tod! Dieses Malboro- und Stuyvesant-Dasein zu gleichen Teilen. Trotzdem, ein bißchen Rauch um Herbert Schmackes mußte schon sein. Sie hatte für ihn Rache geschworen. Das klang gut. Und das kam auch sehr gut. Irgendwie!

(Fortsetzung folgt)

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