„Aus dem Licht, ihr!“

■ Olga Bontjes van Beek ab heute in der Böttcherstraße: eine Ausstellung zum 100. Geburtstag der Künstlerin

Olga Bontjes van Beek, im letzten Jahr in Fischerhude verstorben, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Eine ältere Dame aus Umzu? Nichts wäre unpassender, um Olga Bontjes van Beek zu beschreiben. Alt war sie und ohne jeden Zweifel Dame, doch beeindruckt hat sie alle, die sie kannten, die Künstlerin, deren Herz auch im hohen Alter noch springen konnte. Und das im buchstäblichen Sinne. Ihr Sohn Tim Bontjes van Beek erzählt, daß die Mutter noch mit 98 Jahren, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, den Ausdruckstanz anzudeuten wußte und sich im Schattenspiel zu Figuren verbog.

So ungewöhnlich wie diese Episode war ihr ganzer Lebenslauf: die Familie, aus der sie stammt, der offene Künstlerhaushalt, den sie in Fischerhude auch während der Nazi-Zeit führte und nicht zu letzt ihre Bilder. Eine „Entdeckung der Kühnheit“ rühmt Prof. Gerd Presler ihre bislang größte Ausstellung, die heute in der Kunstsammlung Böttcherstraße eröffnet wird. 150 Bilder und 20 Plastiken zeigen ein Gesamtwerk, das sich erst nun, nach ihrem Tode, in all seiner Vielseitigkeit enthüllt.

1923 hatte die Künstlerin nach einer Ausbildung als Ausdruckstänzerin in Darmstadt, diversen Tourneen und der Geburt von drei Kindern wieder begonnen zu malen. Sie soll doch im Gottes willen ihr Talent nicht vernachlässigen und nun mindestens 10 Jahre sich auf keine Austellung einlassen, hatte ihr der Maler Fritz Mühsam empfohlen. Einen Rat, an den sie sich mehr als konsequent gehalten hat. Erst jetzt tauchen auf Dachböden, in Kammern und verstreut bei Freunden Bilder auf, die in den letzten 70 Jahren entstanden sind. Neben Portraits von Familienangehörigen, Freunden und Künstlern sind dies die Stilleben und Landschaften, in denen sie gelebt hat .

Eigentlich jedoch sei sie Autodidaktin gewesen, berichtet der Sohn schmunzelnd über die berühmte Mutter, schließlich habe sie nie in ihrem Leben eine Hochschule besucht. Gelernt hat sie offensichtlich zuerst vom Vater, Heinrich Breling, dem Hofmaler Ludwig des II. von Bayern. Später dann von Freunden. Das waren nicht wenige, darunter einige, deren Namen heute bekannter sind, als der der Künstlerin. Schon mit 15 Jahren begleitete sie den Bildhauer und späteren Gestalter der Böttcherstraße Bernhard Hoetger nach Florenz. Diverse Büsten und Majoliken entstehen, inspiriert durch die junge Olga. Reizvollerweise zeigt die Ausstellung in der Böttcherstraße neben eigenen Bildern auch Arbeiten von Hoetger, die die Bontjes van Beek als Modell zeigen. Doch dies war nur ein Durchgangsstadium für sie. Wären viele junge Frauen 1920 zufrieden, als Model oder Muse einen kreativen Künstler zu inspirieren, so stand das für Olga nie zur Debatte. „Wir waren immer selbst dabei“, erinnert sich der Sohn Tim heute.

Ein ständiger Spruch war: „Aus dem Licht, zwei, drei. Entweder es wurde gemalt oder musiziert. Ohne Kunst ging nichts.“ Der Vater Breling, dessen Portraits der Tochter die Ausstellung eröffen, habe daran nicht unwesentlich Anteil gehabt. Seine eigene Kunst als Schlachtenmaler Ludwig des II. von Bayern habe er am Lebensende kritisch gesehen und die Entwicklungen der modernen Kunst begrüßt. „Mhm-mhm... mit fast nichts gemacht“, lautete sein kurzsilbiger Kommentar zu dem Impressionisten. Und von seiner Wertschätzung der umstrittenen Paula Becker-Modersohn („Diese Frau hat nicht gelogen“, rühmt er den Wahrheitsgehalt der Künstlerin) bis zur Ermutigung der begabten Tochter war es nicht weit. So entsteht ein Selbstvertrauen, das die Künstlerin bis zu ihrem Lebensende nicht verlassen hat. Und das sich trotz allem Leid, das etwa die Ermordung der Tochter Cato Botjes van Beek 1943 als Mitglied der „Roten Kapelle“ in Berlin durch die Nazis verursacht hat, nie zerbrochen ist. An die Widerstandstätigkeit der Tochter erinnert die Austellung nur den Betrachter, der die Hintergründe kennt. Neben der kleinen Landschaft, einer Baumgruppe, die am Tag der Ermordung der Tochter entstand, hängt kein Kommentar, sondern ein Portrait der Mutter: eine schöne Frau mit bedrücktem Gesicht. „Ich wollte der Versuchung entgehen, hier einen Mythos um die Familie Bontjes van Beek zu schaffen,“ erklärt Museumsleiterin Maria Ancykowski von der Kunstsammlung Böttcherstraße.

Neben der norddeutschen Stimmung der Fischerhuder Landschaft dokumentieren Arbeiten aus Orvieto und Boston längere Arbeitsaufenthalte. Doch am erstaunlichsten für den Betrachter ist die entwicklung der Malerin in den letzten Jahren. Zwar ist Olga Bontjes van Beek in ihrem Alterswerk immer mehr beschränkt auf das Stilleben, weil das Malen nach der Landschaft oder mit Modellen einfach zu viel Kraft kostet. Aber umso energiereicher wirken die Bilder, die tatsächlich entstehen. Eine kleine Reihe dokumentiert die letzten Bilder der 98jährigen: die Stilleben mit Früchten scheinen vor Farbe zu bersten. Ihre letztes Bild zeigt eine Aubergine und zwei Zitronen - kein Zug von Gram und Resignation in den fast abstrakten, leuchtend gelben Farbklecksen der Früchte.

Susanne Raubold

Eröffung heute abend um 18 Uhr. Die Ausstellung geht bis zum 13.10.