■ Hat die Frage fehlender Atommüll-Endlager der Anti-AKW-Bewegung wirklich genützt? Eine Erwiderung
: Ohne Endlager AKW stillegen

Die These, die in der vergangenen Woche Klaus-Peter Klingelschmitt formuliert hat, klingt provokant. „Wer den Atomausstieg will“, schrieb er, „muß auch die Hand für ein Endlager heben.“ Tatsächlich arbeitet er mit dieser Forderung ohne Not der Atomindustrie in die Hände. Genau dieses Endlager braucht sie, um ihre Anlagen langfristig weiterbetreiben zu können.

Freiwillig wird die Energieindustrie den Ausstieg nicht mitmachen. Und deshalb müssen alle Vorhaben, die den Betrieb der Atomkraftwerke sicherstellen, wie eh und je bekämpft werden. Ohne einen endgültigen Ausstiegsbeschluß ist und bleibt auch ein Endlager für den hochradioaktiven Müll aus den abgebrannten Brennstäben Teil dieses Widerstandskonzepts.

Ohne den unwiderruflichen Ausstieg gibt es für die Anti- Atomkraft-Bewegung und damit für Bündnis 90/Die Grünen keinen Anlaß, ihre Taktik zu ändern und sich an einer Standortdebatte für ein Endlager zu beteiligen. Das von Klingelschmitt geforderte Plazet für ein Endlager würde die Zukunft der Atomindustrie im Gegenteil erst sichern und nicht etwa den Ausstieg forcieren.

Genau an dem Punkt eines fehlenden Endlagers gilt es politisch anzusetzen, um die Atomlobby mit ihren eigenen Waffen, dem Atomgesetz, zu schlagen. In diesem Gesetzeswerk steht, daß der Atommüll entweder schadlos verwertet oder beseitigt werden muß.

Eine Expertenanhörung im hessischen Landtag, die im Juni dieses Jahr stattfand, hat aber eindeutig ergeben, daß diese Verwertungs- und Beseitigungsmöglichkeiten nicht nachgewiesen sind und die Atomkraftwerke deshalb stillgelegt werden können. Ein Endlager ist – auch von der Atomindustrie unbestritten – nicht vorhanden und auch realistischerweise nicht in Sicht.

Deshalb begründet die Atomindustrie ihren Entsorgungsnachweis immer noch mit der angeblichen „Verwertung“ des hochradioaktiven Abfalls, also dem Brennstoffkreislauf.

Der aber ist längst in sich zusammengebrochen. Der Schnelle Brüter in Kalkar, in dem das anfallende Plutonium aus der Wiederaufarbeitung verbrannt werden sollte, wurde nicht gebaut; auf die Wiederaufarbeitungsanlage im bayerischen Wackersdorf wurde verzichtet; die Mischoxid-Brennelemente-Fertigung im hessischen Hanau wurde aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.

Die von der Atomindustrie im Ausland genutzten Wiederaufbereitungsanlagen im französischen La Hague und im britischen Sellafield entsprechen nicht den deutschen Sicherheitsanforderungen, so daß die „schadlose Verwertung“ dort rechtlich zumindest fragwürdig ist. Da es ein Endlager bis heute nicht gibt, wird somit bis heute der Atommüll mit den umkämpften Castor-Transporten von einem Zwischenlager ins nächste verschoben.

Das Beispiel des hessischen Atomkraftwerks Biblis zeigt, daß die Wiederaufbereitung keine echte Verwertung erbringt. Seit 1975 wurden 1.500 abgebrannte Brennelemente aus dem Atommeiler Biblis wiederaufbereitet.

Gewonnen wurden daraus acht Tonnen Plutonium. Da der Energiekonzern RWE in Biblis die teuren plutoniumhalten Brennelemente (MOX-Brennelemente) nicht einsetzt, wurde dort jedoch nicht ein einziges Gramm des giftigsten Stoffs der Welt wiederverwertet. Insgesamt sind in den deutschen Atomkraftwerken bisher 40 Tonnen Plutonium angefallen, von denen erst 8,5 Tonnen zu MOX- Brennelementen verarbeitet wurden.

Nach Schätzungen der Bundesregierung wird der Plutoniumberg bis zum Jahr 2030 auf über 200 Tonnen anwachsen. Der Verzicht auf den Einsatz dieser Brennelemente in Biblis ist rein wirtschaftlich begründet. Sie sind teurer als jene aus Uran.

In der Landtagsanhörung vom Juni hat RWE deutlich gemacht, daß sie sich durchaus einen Verzicht auf die Wiederaufarbeitung ihrer Brennelemente vorstellen können und aus ökonomischen Gründen die direkte Endlagerung sogar vorziehen würden. Ohne ein Endlager ist ihnen aber dieser profitable Weg versperrt. Da weder ein Brennstoffkreislauf noch ein Endlager verfügbar sind, haben die Atombehörden der Bundesländer die Möglichkeit, die Atomkraftwerke stillzulegen.

Sie können von den Kraftwerksbetreibern in einer nachträglichen Anordnung einen lückenlosen Nachweis über den Verbleib der anfallenden hochradioaktiven Abfälle verlangen.

Hier allerdings wird die Atomlobby die geltenden Gesetze und Vorschriften nicht erfüllen können, da weder „schadlose Verwertung“ noch geordnete Beseitigung (fehlendes Endlager) nachgewiesen werden können. Diesen Weg will Hessen beim AKW Biblis gehen.

Das rot-grün regierte Bundesland will vom RWE für seine beiden Atomkraftwerke in Biblis in einer nachträglichen Anordnung nun den gesetzlich geforderten Entsorgungsnachweis verlangen. Ohne ein Endlager wird RWE ihn nicht erbringen können und dürfte deshalb das Kernkraftwerk nicht weiterbetreiben.

Nach wie vor gilt, daß das fehlende Endlager eine der Achillesfersen der Atomindustrie ist. Dies hat auch der baden-württembergische CDU-Umweltminister erkannt. In einem Rundfunkinterview hat er vor kurzem freimütig eingeräumt, daß in der Atompolitik alle Parteien und die Energieversorger versagt haben, weil es ihnen nicht gelungen sei, der Bevölkerung einen nachvollziehbaren und akzeptierbaren Kreislauf zur Entsorgung des Atommülls zu vermitteln.

Der Christdemokrat fordert deshalb unumwunden, die bestehenden Atomkraftwerke mit dem Nachweis zu versehen, daß die Entsorgung auch wirklich stattfindet. Es gibt deshalb für die Bündnisgrünen und die Anti-Atomkraft-Bewegung keinen Grund, wie Klingelschmitt nahelegt, ihre Taktik beim Ausstieg aus der Atomkraft zu ändern.

Das fehlende Endlager muß von den Landesbehörden als Ausstiegshebel unter konsequenter Anwendung des Atomgesetzes genutzt werden. Horst Burghardt