„Scientology weist viele Merkmale einer totalitären Organisation auf“

■ Interview mit dem Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Fritz-Achim Baumann, zur Forderung nach Überwachung der Scientology-Sekte

Verfassungsschutzbehörden und Innenminister von Bund und Ländern streiten darüber, ob die Scientology-Organisation eine extremistische Gruppierung ist. Bayern und Nordhrein-Westfalen befürworten eine Beobachtung der Sekte durch den Verfassungsschutz. Hamburg dagegen steht einer solchen Überwachung skeptisch gegenüber.

taz: Herr Baumann, Ihr Hamburger Kollege Ernst Uhrlau lehnt den Einsatz des Verfassungschutzes gegen Scientology ab, weil er die behauptete politische Orientierung der Sekte nicht zu erkennen vermag. Weiß man in NRW mehr als in Hamburg?

Achim Baumann: In erster Linie liegt das wohl an dem unterschiedlichen Blickwinkel, aus dem heraus wir jeweils die Sekte betrachten. Herr Uhrlau stellt sehr stark auf die Entstehungsgeschichte der Sekte ab und verweist darauf, daß der inzwischen verstorbene Gründer der Sekte, Hubbard, sich als Religionsstifter verstanden hat. Das bezweifeln wir nicht. Aber inzwischen hat sich Scientology zu einer Vereinigung entwickelt, die politisch eindeutig gegen das gerichtet ist, was wir freiheitliche demokratische Grundordnung nennen. Wir gehen nicht davon aus, daß der einzelne Bürger, der bei der Sekte sein Heil sucht, wie ein Extremist zu sehen ist, der den freiheitlichen Staat in Gefahr bringt. Aber die Funktionärsebene der Sekte verfolgt ganz deutlich eine solche politische Zielrichtung.

Auch andere Sekten suchen ihre Mitglieder total in ihren Bann zu ziehen und ökonomisch auszupressen.

Wir wollen nicht als Verfassungsschutz die rund 600 Sekten und religiösen Vereinigungen im Lande beobachten, sondern unser Interesse gilt nur jenen, die politische Ziele verfolgen, die gegen unsere Verfassungsordnung gerichtet sind. Scientology weist im Gegensatz zu vielen anderen Sekten viele Merkmale einer totalitären Organisation auf. Sie erhebt einen ideologischen Alleinvertretungsanspruch, gruppiert sich um eine Führerideologie und propagiert und praktiziert Gewaltanwendung – etwa bei der Einschüchterung von Gegnern oder bei der Verfolgung von Abtrünnigen.

In den USA ist die Sekte als Kirche anerkannt. Sind die dortigen Behörden schon alle unterwandert?

Das möchte ich so generell nicht sagen, obwohl man manchmal glaubt, dafür Ansatzpunkte zu erkennen. In den USA betrachtet man Sekten ganz allgemein als wichtigen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Man ist dort weniger mißtrauisch.

Wenn der Staat sich anmaßt, zu entscheiden, welche Heilslehre im Sinne des Grundgesetzes Religion ist, dann bleibt von der Religionsfreiheit doch nicht mehr viel übrig.

Ihre Prämisse ist falsch. Scientology könnte, ginge es nur um eine religiöse Botschaft, völlig unbeeinflußt ihre Lehren verkünden. Doch darum geht es dieser Sekte nicht. Sie schwört ihre Mitglieder darauf ein, ein totalitäres Gesellschaftsbild umzusetzen. Deshalb ist der Verfassungsschutz gefragt.

Die bayrische Regierung hat inzwischen eine Art „Radikalenerlaß“ gegen die Sekte erlassen. Wollen Sie, daß auch in NRW Sektenmitglieder künftig nicht mehr Staatsdiener werden dürfen?

Als Verfassungsschützer will ich dazu nur sagen, daß deutliche Äußerungen der staatlichen Stellen gegen die Sekte mögliche Interessenten schon zum Nachdenken bewegen könnten. In die gleiche Richtung wirkt das von uns in Auftrag gegebene Gutachten des Politikwissenschaftlers Hans-Gerd Jaschke. Wir haben davon inzwischen mehr als 40.000 Exemplare verschickt.

Haben Sie die Hoffnung, durch Aufklärung der Sekte das Wasser abgraben zu können, aufgegeben?

Nein, aber es hat sich gezeigt, daß die bisherige Aufklärung allein nicht reicht. Wir müssen dafür sorgen, daß die Menschen über die wahren Ziele der Sekte, die nicht in den Hochglanzbroschüren genannt werden, ein umfassendes Bild erhalten. Und dafür müssen wir Informationen sammeln, die auf dem offenen Markt nicht zu erlangen sind.

Der Sektenboom ist nicht zuletzt ein Produkt des Werteverlustes in unserer vollständig durchkapitalisierten Konsumgesellschaft. Tragen Sie mit ihrer Überwachungsforderung nicht letztlich dazu bei, von diesen Ursachen abzulenken?

Wir wollen nicht ablenken, sondern über die tatsächlichen, gefährlichen Ziele der Scientology- Sekte aufklären. Die Ursachen dafür, daß zunehmend Menschen sich auf Sinnsuche begeben und bei Sekten landen, liegen in der Tat sehr viel tiefer. Aber man sollte diesen einen Ansatz zur Bekämpfung einer für ihre Opfer sehr gefährlichen Organisation nicht dadurch zuschütten, weil man weiß, dieser Ansatz allein reicht nicht. Interview: Walter Jakobs