Zwischenweltliches Chaos

■ In Geliebte Aphrodite läßt Woody Allen einen seiner klassischen New-York-Filme auf griechische Tragödie und Hollywood treffen

Eigentlich ist Geliebte Aphrodite nicht ein Film, sondern drei. In ihm treffen sich die klassische griechische Tragödie, der klassische Woody-Allen-New-York-Film und das klassische Hollywood-Kino. Wobei freilich die Melange dieser drei Teile wiederum typisch ist für Woody Allen.

Lenny Weinrib (Woody Allen), ein New Yorker Sportreporter, und seine circa 20 Jahre jüngere Frau Amanda (Helena Bonham Carter), eine ambitionierte Galeristin, adoptieren ein Kind, obwohl Lenny dabei streng genommen ein besonderer Reiz des leiblichen Kindes fehlt: „the pride of owner-ship“. Der kleine Max wächst heran und in Lenny beginnt jene Banalpsychologie ihre Wirkung zu zeigen, mit der Allens New York stets verbunden ist.

Die Angst vor dem Ödipus-Komplex und schlichte Neugier treiben Lenny dazu, sich heimlich auf die komplizierte Suche nach der leiblichen Mutter zu begeben. Von diesem Zeitpunkt an werden immer wieder die typischen Figuren der griechischen Tragödie in sein Leben treten.

Entsprungen aus dem Amphi-theater der Antike, kommentiert der Chor Szenen; der Seher Tiresias macht sich in der Rolle eines blinden Penners (Jack Warden) bemerkbar; der Chorleiter (F. Murray Abraham) redet Lenny ins Gewissen; Ödipus plaudert aus dem Nähkästchen, und Kassandra ahnt Böses.

Als Lenny in der Pornofilmdarstellerin und Prostituierten Linda Ash (Mira Sorvino) endlich Max' Mutter gefunden hat und diese selbstverständlich zum anständigen Leben zu bekehren versucht – nebenbei aber Lennys Frau Amanda eine Affäre mit dem Finanzier Jerry Bender (Peter Weller) zu beginnen droht und Lenny gleichzeitig seine Gefühle zu Linda entdeckt –, bestürmen ihn die Griechen mit Lebenshilfe und Warnungen. Die Dialoge gleichen sich – auf Lennys entnervtes „Oh, you're such a Cassandra!“ lautet die Antwort: „I'm not a Cassandra. I am Cassandra.“

Das aus dieser Grundkonstellation erwachsende zwischenmenschliche und zwischenweltliche Chaos bildet den idealen Spielraum für eine Woody-Allen-Komödie. Neben Allens großartiger Schauspieler-Führung (Mira Sorvinos Linda wurde mit dem Oscar ausgezeichnet) und seinem Sinn für Timing und Situationskomik liegt eine weitere Stärke des Films jedoch in einem dramaturgischen Schachzug.

Indem er die Klischees aller drei Kunstwelten (Allens New York, antikes Drama und Hollywood) gegeneinanderführt, entlarvt Woody Allen ihre Mythen, ohne die damit verbundenen Sehnsüchte gleichsam zu diskreditieren. Und die auffällig langen Einstellungen, die Geliebte Aphrodite prägen, unterstützen diese Klarheit.

Die Transparenz, die Allen damit schafft, verweist direkt auf das in der jeweiligen Welt letztlich auf sich allein gestellte Individuum. Wenn also Linda oder Lenny aus ihren entmythologisierten Welten aufeinander zugehen oder sich trennen, ist der Schutzwall ihrer Umgebung längst unwirksam geworden. Diesen als Inszenierung dennoch immer wieder auszustellen, ist die letzte Pointe von Geliebte Aphrodite.

Jan Distelmeyer

Siehe Filmübersicht