Strafprozeß statt Techno-Party

■ Oberleutnant steht wegen Handels mit „Ecstasy“ vor Gericht/Sachverständiger bezeichnet Konsumenten als „sozial angepaßt“

Marcus E. ist 28 Jahre alt und gehört – sagt er selbst – damit schon zum alten Eisen. In der Techno-Szene, bestätigt ein Sachverständiger, seien die meisten zwischen 18 und 25. Und „gesellschaftlich angepaßt“. Das wiederum scheint auf den Angeklagten zuzutreffen: Oberleutnant, Student der Bundeswehr-Universität, messerscharfer Haarschnitt, Karohemd – Manschetten zugeknöpft. Seit Juli vergangenen Jahres ist er suspendiert. Kurz zuvor war er wegen Handels mit „Ecstasy“ festgenommen worden. Seit gestern steht er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vor Gericht.

Als E. im Herbst 1992 nach Hamburg kam, habe er zunächst „keinerlei Affinität“ zur Techno-Szene verspürt und zur entsprechenden Musik erst recht nicht. Dann habe ein Kamerad ihn mitgenommen in den „Tunnel“, später ging er jedes Wochenende in „entsprechende Lokale“, dehnte irgendwann das „Nachtleben“ von Mittwoch bis Sonntag aus. An jedem Abend habe er zwischen 50 und 100 Mark ausgegeben; als ihm jemand Anfang 1995 größere Mengen Ecstasy-Pillen zu kleineren Preisen anbot, war ihm das recht. Einige schluckte er selbst, viele verkaufte er – an zum Teil minderjährige Leute aus der Szene, an Bekannte günstiger, Freunde bekamen auch mal gratis welche ab.

Er habe nicht bewußt ein Geschäft aufgebaut, versichert E., alles habe sich innerhalb der Szene abgespielt, gehörte irgendwie dazu. Als jemand ihm eine Weiterverkäuferin aus Kiel vermittelte, sei zum ersten Mal „etwas Externes“ entstanden. Das habe ihn in dem Wunsch bestärkt, mit dem Verkauf und den Pillen überhaupt aufzuhören. Die Interessentin – eine Polizeibeamtin, wie er heute weiß – blieb hartnäckig. Ende Mai wurde E. verhaftet. In einem Telefonat, das die Polizei kurz zuvor aufgezeichnet hatte, erklärt der Angeklagte gegenüber der Scheinaufkäuferin, er habe mit Tabletten nichts mehr zu tun.

Er sei sowieso ein nervöser Typ, sagt E., durch den Ecstasy-Konsum habe er „in allen Bereichen merklich nachgelassen“. Der Dauergebrauch des Amphetamin-Derivats „Ecstasy“ führe zu körperlicher Auszehrung und schweren Konzentrationsstörungen, erklärt der Sachverständige. Die Konsumenten würden in Hamburg auf 10.000, bundesweit auf 100.000 geschätzt. „Die Zahlen werden steigen; die Probierbereitschaft ist sehr groß.“ Er bestätigt den Eindruck des Angeklagten, daß viele in der Szene ihren Ecstasy-Konsum nicht als illegal empfinden. Tatsächlich ist er das in der Bundesrepublik seit zehn Jahren. Hier wurde der Wirkstoff bereits 1914 und zunächst legal auf den Markt gebracht: als Appetitzügler.

Der Prozeß wird kommenden Dienstag fortgesetzt.

Stefanie Winter