Ende der Fahnenstange nicht in Sicht

■ Wirtschaft stagniert. Jobverlust im Dienstleistungssektor

Die Zahl der Rechtsanwälte in Berlin ist im Jahr 1995 um 350 auf 4.800 gestiegen. Auch die Messe GmbH ist mit ihrem Geschäft zufrieden: Die Hallen am Funkturm waren 1995 gut ausgelastet. Diese positiven Ausnahmen im Dienstleistungssektor konnten die Stagnation der Berliner Wirtschaft im vergangenen Jahr allerdings nicht verhindern. Im Bereich der Dienstleistung wie auch der Industrie sei die Zahl der Erwerbstätigen gesunken, erklärte Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) gestern bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 1995. Die Wirtschaftskrise hat sich nach Pieroths Einschätzung gegenüber 1994 noch verschärft.

Besonders ernüchternd ist, daß die Dienstleistungsbranchen nichts zur Belebung der Wirtschaft beitragen konnten. Die Zahl der Beschäftigten im sogenannten „tertiären Sektor“ sank um 23.000 auf 900.000. Verantwortlich dafür war ein Abbau von Arbeitsplätzen in den öffentlichen Verwaltungen, aber auch im Handel. Gerade dieser Bereich leidet unter den durch Arbeitslosigkeit und Sozialabbau geschmälerten Einkommen.

Dem Jahreswirtschaftsbericht zufolge hat Berlin jedoch auch „bei den wachstumsträchtigen, unternehmensbezogenen Dienstleistungen noch einen deutlichen Nachholbedarf“ gegenüber anderen bundesdeutschen Großstädten. Während in diesem Bereich 44 von 1.000 Berliner Beschäftigten arbeiten, sind es in Köln 51, in Frankfurt am Main 90 Arbeitskräfte. Auch mit der vielgerühmten Konzentration von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen scheint es nicht weit her zu sein: Pro 1.000 Beschäftigte sind an der Spree 10 ForscherInnen und EntwicklerInnen tätig, in Frankfurt am Main dagegen 25, in München 26.

Insgesamt nahm die Zahl der Berliner Erwerbstätigen gegenüber dem Vorjahr um 30.000 ab und sank auf knapp über 1,5 Millionen Menschen. Parallel dazu stieg die Zahl der Arbeitslosen von Mai 1995 bis Mai 1996 um 25.000 und erreichte den neuen Höchststand von 233.000. Im laufenden Jahr werde die Arbeitslosigkeit weiter zunehmen, erklärte Pieroth.

Der Wert der in Berlin hergestellten Waren und Dienstleistungen stagnierte 1995, während das Bruttoinlandsprodukt im bundesdeutschen Durchschnitt um 1,9 Prozent stieg. Als Gegenmaßnahmen empfahl Pieroth eine deutliche Senkung von Strompreisen und anderen Abgaben, die die Unternehmen belasten. Außerdem will sich der Senat bei Investitionen auf einige wenige Bereiche wie die Verkehrsindustrie und die Kommunikationsbranche konzentrieren. Hannes Koch