Keine Gesundschrumpfung

■ Heute 5. Folge: Albin Hänseroth, designierter Intendant der Oper Hamburg, darüber, weshalb nicht mehr gespart werden kann, ohne daß das Theatersystem zusammenbricht

Bundesdeut-sche Theaterleute haben in der Vergangenheit die wirtschaftliche Situation ihrer Häuser zu ausdauernd und zu laut beklagt. Deswegen werden ihre Klagen jetzt nicht mehr als der Hilferuf verstanden, zu dem sie in der Tat geworden sind. Da in den Theatern in der Vergangenheit nicht betriebswirtschaftlich gedacht werden mußte, wurden verfügbare Mittel oft ausgegeben, um drohenden Konflikten mit Künstlern oder Theaterbeschäf-tigten aus dem Wege zu gehen: Management by money war vielerorts die Handlungsmaxime.

Die Sparprogramme der öffentlichen Haushalte haben uns seit einigen Jahren das kaufmännische Denken gelehrt. Die Hamburgischen Staatstheater haben Millionen eingespart, ohne den künstlerischen Anspruch zu mindern. Nun aber ist die Grenze erreicht. Mehr zu sparen geht nicht ohne eine Theater-Strukturreform, es sei denn, die Politik beabsichtigt, das existierende Theatersystem zusammenbrechen zu lassen, um bei null anfangen zu können. Dies wäre eine sehr gefährliche Strategie.

Schon jetzt sind aufgrund der enormen Sparanstrengungen an der Oper Hamburg wichtige Positionen nicht mehr besetzt. Es mußte Personal eingespart werden, wo es sich durch das Freiwerden von Stellen ergab. Das ist kein durchdachter Prozeß der Gesundschrumpfung für das nächste Jahrtausend, sondern ein dem Spardiktat folgendes Verfahren, dessen fatales Endergebnis abzusehen ist. Natürlich kann man betriebsintern noch rationalisieren, das aber nur in Grenzen.

Fehlende Probenräume, kein Dekorationsfundus in unmittelbarer Opernnähe, eine unzureichende Hinterbühne, eine fehlerhaft funktionierende Obermaschinerie, kilometerlange Transportwege und ein veraltetes Transportsystem führen zu einem Personal- und Allgemeinkostenauf-wand, der nicht durch einen Strich mit dem Spar-Rotstift zu reduzieren ist ohne gravierende Auswirkungen auf das qualitative und quantitative Angebot. Hinzu kommt noch die arbeitsrechtliche Situation: Tarifverträge der Theaterbeschäftigten liegen nicht im Gestaltungsbereich der Opern-Geschäftsführung, sondern werden andernorts verhandelt.

Folglich kann man nur noch an zwei Punkten versuchen, die Sparquote zu erbringen: im Produktionssektor und/oder auf der Einnahmenseite. Die Oper Hamburg gehört zu den wenigen Häusern, die in der durchschnittlichen Platzausnutzung an die 90-Prozent-Marke herankommen und nimmt damit eine Spitzenposition ein. Obwohl ständig von der Politik gefordert, sind Eintrittspreiserhöhungen kaum noch durchzusetzen. Bei Kartenpreisen, die bis 260 Mark reichen, bewegen wir uns in Regionen, wo der Zeitpunkt der Publikumsverweigerung abzusehen ist und das Preisgefüge zu einer sozialen Differenzierung führt, bei der ein Teil des Publikums sich nur noch in Ausnahmefällen einen Opernbesuch leisten kann. Einer Reduzierung der Schließtage sind sehr enge Grenzen gesetzt wegen der Arbeitszeitregelungen und der mißlichen technischen Situation. Bereits jetzt muß die Oper während jeder Premierenvorbereitung mehrere Tage geschlossen bleiben. Technisch unaufwendiger wäre es, ein Spielplan-Blocksystem einzuführen, also von montags bis sonntags jeden Abend La Bohème zu spielen, die darauffolgende Woche täglich Die Walküre usw. Abgesehen von der künstlerischen Fragwürdigkeit muß man dabei jedoch bedenken, daß Sängern physische Grenzen gesetzt sind. Ich kann nicht jeden Abend auf der Bühne Mimis Tuberkulosetod oder Wotans Abschied singen lassen, wenn ich nicht drei unterschiedliche Besetzungen verpflichte – wodurch wiederum horrende Kosten entstünden. Gewiß werden durch weniger Premieren pro Spielzeit Ein-sparungen erzielt, und vielleicht lassen sich durch dutzendweise Aufführungen von Bohème, Traviata usw. Einnahmensteigerungen erzielen. Wie lange aber ist das Hamburger Publikum noch bereit, zum Teil mehr als 20 Jahre alte Inszenierungen solcher Repertoire-Renner teuer bezahlend zu besuchen? Außerdem, und für mich beinahe noch schwerwiegender, besteht die Gefahr, mit einer solchen Spielplanpolitik sehr schnell die kulturpolitische Rechtfertigung des teuren Opernbetriebs zu verspielen. Wir sägen uns sozusagen den Ast ab, auf dem wir sitzen. Nein – das Gegenteil muß versucht werden: Mehr Premieren erhöhen die Attraktivität des Hauses.

Konzentrierte Probezeiten, terminlich exakte, kostenbewußte Planungsvorgaben und vor allem der ständige verantwortungs- und verständnisvolle Dialog zwischen Regieteams und den Verantwortlichen in der Staatsoper setzen zeitliche und ökonomische Kapazitäten frei. Dazu benötigen wir aber eine lange Vorplanzeit und eine mittelfristige Finanzplanung mit verläßlichen Größen. Denn Verträge werden in der Oper Jahre im voraus geschlossen und die Abschlüsse, die ich nach Ansage der Kulturbehörde vor langer Zeit getätigt habe, kann ich nicht einfach rückgängig machen. Die in zum Teil harten Verhandlungen erzielte Einfrierung oder Reduzierung von Gagen führt nicht zu einer nennenswerten Kostenreduzierung, sondern sichert bestenfalls die Erhaltung des Status quo, da Gageneinsparungen durch anderweitige Kostensteigerungen aufgefressen werden. Wir werden die Zahl der Opernpremieren in der Spielzeit 1997/98 von vier auf sechs erhöhen plus zwei Ballett-Produktionen. Aber die für 1997 hinzugekommene Sparquote von 1,7 Millionen Mark macht es unmöglich zu sagen, ob das auch in der zweiten Spielzeit zu schaffen ist, obwohl sechs Opernpremieren für ein solches Haus eigentlich ein Minimum sein müßten.

Die Grenze des Sparbaren ist erreicht. Wie soll man Qualität und Quantität erhalten oder möglichst steigern, wenn der Betrieb kurzfristig mit Sparauflagen in Millionenhöhe belastet wird, für die es keinerlei Umsetzungskonzepte gibt. Ohne eine verändernde strukturpolitische Weichenstellung wird es solche Konzepte nicht geben. Daher erwarte ich, daß die Politiker einmal offen sagen, wie sie sich die Zukunft der Oper vorstellen, anstatt achselzuckend immer neue Sparquoten zu verteilen – gewürzt mit guten Ratschlägen wie: „Machen Sie doch wieder Ensemble-Theater – aber bitte mit den besten Sängern!“

Was wir dringend benötigen, ist zum einen eine mittelfristige Finanzplanung über fünf Jahre. Diese funktioniert in anderen Städten wie z. B. Köln bereits mit Erfolg, aber Hamburg weigert sich konsequent, sie einzuführen. Nur so entstünde eine Planungssicherheit und -möglichkeit. Zum anderen benötigen wir ein innerbetriebliches System, das mehr Flexibilität zuläßt als das jetzige, das bis zum Unsinn starr und reglementiert ist. Beides sind Entscheidungen, die von der Politik initiiert werden müssen.

So wie es sich abzeichnet, werde ich dem Aufsichtsrat einen defizitären Haushaltsvoranschlag vorlegen müssen, ohne in Aussicht stellen zu können, im Laufe der Spielzeit aus den roten Zahlen herauszukommen. Wenn man von uns wirtschaftlich verantwortungsvolles Handeln und künstlerisch prestigereiches Arbeiten verlangt, muß man die politischen Voraussetzungen schaffen, daß dies möglich wird. Meine Hamburger Kollegen und ich sind bereit, mit unserer Sachkenntnis bei der Formulierung mittelfristiger Konzepte den Politikern – und nicht nur den Kulturpolitikern – zuzuarbeiten. Zur Umsetzung der Konzepte bedarf es aber politischer Institutionen, bei denen die vielbehauptete Leidenschaft für das Theater mit Sachkenntnis, politischem Mut und entschlossenem Reformwillen verknüpft ist.