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Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 30

Das nächste Bild. Ein Bekannter blasser, weißer Kreidestrich rahmte die Tote auf dem Spielplatz ein. Abblende. Glatter und Poller stillten ihr Glück. Afram nährte sein Entsetzen. Glatter und Poller tanzten aus Aframs Wohnungstür auf und davon. Sie waren aus dem Schneider.

Afram sah nur noch Rücken. Ihre nackten, greisen Schädel tanzten auf dünnen Hälsen auf dem Linoleum im Treppenhaus. Und sein eigener Kopf hängte mit einem satten Grau den Rest einer vagen Erinnerung ab. Afram suchte diesen einen Gedanken. Aber Zensor schickte ihm eine Bewußtseinsstörung. Der Gedanke zeigte sich nicht. Afram blieb in einem Nebel stehen. Zensor schickte ihm eine Sehstörung. Der Nebel lichtete sich nicht. Es gab kein Erinnern.

Der Mörder ist immer

die Leiche

Von neugierigen, geschlüpften Sternen, einem zweifelhaften Geständnis und einem weiblichen Skinhead, der niemals ein weiblicher Skinhead war ...

Sie benutzten das Schwarz der Nacht. Und der Mond sollte Zeuge sein. Aber der Mond spielte nicht mit. Er hatte es längst satt, Zeuge von Kriegen, Verbrechen und Toden zu sein. Mond hängte sich eine Wolke vor das Gesicht. Nur ein paar junge Sterne neugierten in den Hinterhof. St. Georg hatten sie nach ihrem Schlüpfen aus dem All noch nicht gesehen. Sonst hatte die Nacht ferne Signale aus einer Hupe zu bieten. Aber sie hatte zu dieser Situation absolut nichts zu sagen. Ein flüsternder Film lief im Hinterhof an. Eine ängstliche Szene spielte mit Hasenfüßen. Ein stiller Dialog sagte nichts, absolut nichts, auch nicht über die Rolle der Leiche, die Carola für die Brauns übernommen hatte. Sie schleppten Carola das Fleisch über den Hinterhof. Sie hatten sie maskiert. Sie hatten ihr den Schädel ostrasiert. Dieser trug eine Baseballmütze mit den Emblemen der Republikaner, der DVU und dem Wappen vom 1. FC Saarbrücken; elf Abstiegskandidaten wie die Brauns selbst. Carola sah jetzt unbedingt so aus, als ob sie sich am Tod von Herbert Schmackes schuldig gemacht hätte. Sie hatte ihren Auftritt nicht studiert. Aber den Tod Gott sei Dank brauchte niemand zu üben. Auch keine Carola. Mit ein paar Handgriffen inszenierten die Brauns Carola. Sie übernahm die Rolle von Herbert Schmakkes. Sie war eine Stuntgirl für den Tod. Die zweite Besetzung von Herbert Schmackes fügte sich nahtlos in die Grenzen, die einst die Kreide der Polizei, um den toten Rentner gezogen hatte. Carolas Kopf entstellte sich in einem Neunzig-Grad-Winkel. Ihre tote Augen lagen auf einem Scheißhaufen von einem Hund. Ihre Nase störte der Gestank nicht mehr. Der Rest von Carola bequemte sich auf dem kalten Beton. Da hängt ja ein Typ am Fenster! Jan und Hein und Claas und Pit zeigten auf Aframs unbewegliche Silhouette. Glatter und Poller im Rücken von Afram blieben von den Brauns unentdeckt. Der kann uns nicht verstehen, sagte Weizen voller Verachtung, Also, kann er uns auch nicht sehen! Außerdem, die Ausländer gehen nicht zu den Bullen, wegen dem politischen Asyl und solchen Sachen. Nur wenn es um die Sozi oder Stütze geht, singen die Kakerlaken! Ist sie wirklich tot? Jan und Hein und Claas und Pit meinten Carola. Und traten dem Leichnam die Breitseiten der versammelten Springerstiefel in den Bauch. Tja, das Thema ist durch! Dumm gelaufen! Die Brauns rückten ab. Carola blieb auf dem Rücken liegen. Mit den typisch rechtsradikalen Wunden. Mit den Zeichen des Informationszeitalters. Mit der undurchschaubaren Sinnflut von Nachrichten und Fiktionen, Wirklichkeiten und Möglichkeiten, Gutigkeiten und Bösigkeiten, Recht und Unrecht.

(Fortsetzung folgt)

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