Privat verwaltete Kinder

Die perfekte Rundumversorgung fordern Eltern von nichtöffentlichen Schulen. Das ist ihnen ein Schulgeld zwischen sechzig und über 500 Mark im Monat wert  ■ Von Julia Naumann

Ballspielende, kreischende Kinder und eine Lehrerin, die beschwichtigend einen weinenden Jungen tröstet – eine ganz normale Hofpause an einer Steglitzer Grundschule. Doch ein Blick auf den Stundenplan zeigt, daß diese Schule nicht wie jede andere ist: Anstatt 17 Stunden durchschnittlich pro Woche müssen die ganz Kleinen 30 Stunden die Schulbank drücken, die Fünft- und Sechstklässler sogar bis zu 40 Stunden. Erst um halb vier ist Schulschluß. Dann ist die Straße vor der Schule zugeparkt mit edlen Autos, nicht wenige mit Brandenburger Kennzeichen. Jeden Tag das gleiche Ritual: Die Eltern nehmen ihre Schützlinge in Empfang. Die rund 300 SchülerInnen besuchen eine der teuersten staatlich anerkannten privaten Grundschulen Berlins: die Private Kant-Schule in der Grunewaldstraße.

540 Mark monatlich kostet der Besuch in der verwinkelten Villa, inklusive Mittagessen, Hausaufgabentutoring und Betreuung bis fünf Uhr nachmittags. Gepaukt wird schon mit sechs Jahren: „Frühenglisch“ und Schwimmunterricht ab der ersten Klasse. Zahlreiche Arbeitsgruppen wie Keyboard- und Schachspiel sollen den langen Schultag auflockern.

Trotzdem: Für Alfred Wildt ist die Private Kant-Schule eine „ganz normale Schule“. Der 72jährige Leiter und Mitbegründer betont, daß in seiner Schule keine „Eliten“ herangebildet würden, weder gesellschaftlich noch leistungsmäßig. Doch mit einer öffentlichen Schule hat die Kant-Schule wenig gemein. Nur zehn Prozent des gesamten Schulgeldetats werden für sozial Schlechtergestellte aufgebracht, das heißt der Anteil an überdurchschnittlich gutverdienenden Eltern ist extrem hoch. Nur sieben Prozent der SchülerInnen sind Nichtdeutsche. In öffentlichen Schulen ist der Ausländeranteil mehr als doppelt so hoch – ein häufig genanntes Argument von Eltern, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Die Eltern wollten vor allem eins: ihre Kinder adäquat versorgt wissen, so die Erfahrung von Hans Strenge, der sechs Jahre lang Gesamtelternvertreter für Privatschulen war. Sie hätten eine enorme Anspruchshaltung. Wenn schon so ein hohes Schulgeld gezahlt werde, dann bitte im Gegenzug eine komplette Erziehung, gesittete Tischmanieren im Preis inbegriffen. Gerade an Privatschulen mit Ganztagsbetreuung, so hat Hans Strenge beobachtet, wären Kinder häufig „emotional verwahrlost“. Der einzig wirklich beständige Kontakt bestehe zu den LehrerInnen, nicht aber zu den Eltern. Die hätten oft wenig Zeit für ihre Kinder. Gerade bei Wohlhabenden würde das happige Schulgeld überhaupt keine Rolle spielen. Sein Urteil fällt drastisch aus: „Diese Eltern würden auch 10.000 Mark monatlich zahlen. Hauptsache, die Kinder werden verwaltet.“

„Zucht und Ordnung“ herrscht natürlich auch am katholischen Canisius-Kolleg. Aber für Pater Heinrich Köster ist das eher eine ironische Floskel auf die Frage, warum Eltern ihre Kinder auf das ehrwürdige Gymnasium im Tiergarten schicken. Seine Begründung: Die Eltern, überwiegend „Bildungsbürger“, lehnten das „verkorkste Berliner Schulsystem“ ab und wollten ihre Kinder schon ab der fünften anstatt ab der siebten Klasse auf dem Gymnasium haben. Hier zahlen die Eltern nur durchschnittlich 60 Mark Schulgeld, der Rest kommt von Kirche und Spenden. Der Bedarf nach einer altsprachlichen Ausbildung mit Latein ab der 5. Klasse ist immens. Jedes Schuljahr muß mit einer Aufnahmeprüfung am Canisius-Kolleg ausgesiebt werden. Nur die, die katholisch sind, die besten Diktate schreiben und die schwierigsten Matheaufgaben lösen, haben eine reelle Chance. Von 300 Prüflingen werden nur 90 aufgenommen, zwanzig Prozent von ihnen sind nichtkatholisch.

Christliche Schulen machen zwar den überwiegenden Anteil der Privatschulen aus. Die religiöse Traditionspflege aber spielt für die SchülerInnen am Canisius- Kolleg immer mehr eine zunehmend untergeordnete Rolle. So gibt es einmal in der Woche vor der ersten Stunde eine Messe. „Die ist aber meistens schlecht besucht“, sagt der 16jährige Marko. Beliebt dagegen sei der Oberstufen- Grundkurs Religion, dort werden auch Themen wie der „Umgang“ mit dem Atheismus behandelt.

In einem sind sich Schulleitung und SchülerInnenschaft auf jeden Fall einig: Gewalt und Drogen, das Schreckgespenst aller Eltern, gebe es am Canisius-Kolleg nicht. Marko und der Schulleiter schütteln einmütig den Kopf: „Solche Probleme gibt es hier nur sehr, sehr vereinzelt.“ Ein Großteil der SchülerInnen seien „wohlbehütete glückliche Kinderchen“, sagt Marko grinsend: „Ich habe keine Angst, in die Schule zu gehen.“ Und weil das auch so bleiben soll, predigten die LehrerInnen unermüdlich, daß die SchülerInnen des Jesuiten-Kollegs etwas „ganz Besonderes“ seien und später mal „zur Elite“ gehören würden. Marko, der mit zwölf seinen Eltern selbst vorgeschlagen hat, auf das Canisius-Kolleg zu gehen, ist da etwas bescheidener: „Wir sind nur ein klein wenig überdurchschnittlich.“