■ Kommentar
: Reichstagslyrik

Von Soldaten-sind-Mörder-Tucholsky gibt es auch den Stoßseufzer, daß er wohl sterben würde, ehe er ein Wort dafür gefunden habe, was Birkenblätter im Wind tun. Ähnlich ging es vor mehr als einem Jahr den Journalisten, als sie vor den sächsischen Stoffbahnen standen, mit denen der Reichstag vor der Berliner Luft geschützt wurde. Von „heiterer Leichtigkeit“ und „dem Geist der Berliner Republik“ war da die Rede, vom schnöden Mammon Geld noch nicht.

Daß hinter den Kulissen vor allem der Rubel rollen mußte, darauf haben zuerst Christo und Jeanne-Claude aufmerksam gemacht. Wer nach der Reichstagsverpackung ein Foto von derselben veröffentlichen wollte, mußte wohl oder übel auf den Hausfotografen des Duos zurückgreifen. Aber offenbar waren nicht nur Christo und Jeanne-Claude geldgeil, sondern auch die Bundesbaugesellschaft. Die verlangte nämlich als Gegenleistung für Verpackung, Heiterkeit und Berliner Republik eine Bürgschaft von einer Million, ein Tierschutzgutachten sowie 200.000 Mark für ein gebäudesicherndes Bestandsgutachten, das nun, da hinter der Kulisse nur noch Ruine ist, allenfalls Kopfschütteln hervorruft.

Aber so muß das wohl sein. Wenn man nur nicht immer daran verzweifeln würde, die richtigen Worte für diese Dinge zu finden. Oder wie soll man das nun nennen, was Christo, Jeanne- Claude und die Bundesbaugesellschaft mit dem Reichstag gemacht haben? Uwe Rada

Siehe Meldung auf Seite 30