Langsamer Rückzug aus Marzahn

Mit neuem Personal will die „Berliner Zeitung“ endlich wie die „Süddeutsche“ werden  ■ Von Daniel Bax

„Ob es der Berliner Zeitung unter ihrer neuen Führung gelingen wird, ein intellektuelles Publikum zu erobern, wie sie angekündigt hat, scheint mehr als fraglich“, frotzelte der Kulturkorrespondent Jens Jessen im Mai in der FAZ. Wenig später erhielt er einen Anruf vom neuen Chefredakteur der Berliner Zeitung, Michael Maier: Ob er es nicht selbst mal probieren wolle.

Sein neues Amt als Feuilletonchef der Berliner Zeitung tritt der 41jährige Jessen am 1. September an. Doch noch weiß er nicht, ob er sich dazu „lieber gratulieren oder kondulieren lassen soll“. Kein Wunder – liegt doch der Kulturteil der größten Berliner Abonnementzeitung (230.000 Exemplare) seit langem in einer Agonie der Beliebigkeit; im hinteren Teil der Zeitung, eingekeilt zwischen Veranstaltungsprogramm und Fernsehseiten, leidet das Feuilleton des ehemaligen SED-Bezirksblatts von jeher an Platzmangel und fehlender redaktioneller Linie.

Das soll jetzt anders werden: Ein „klassisches Feuilleton“ strebt Jessen an, prominenter plaziert und mit mehr Raum für anspruchsvolle und kritische Essays – ein Debattenfeuilleton, wie er es von der FAZ gewohnt ist. Den bisherigen Kurs der „Boulevardisierung“ will der Neuberliner rigoros zurückschrauben: „Gerade ostdeutsche Leser fühlen sich gedemütigt, weil in diesem Populismus auch etwas Überhebliches steckt“. Als Kenner deutsch-deutscher Leserbefindlichkeit gefällt sich auch der Österreicher Maier, der erst Anfang des Jahres von der Wiener Presse nach Berlin kam. Die Leser in den neuen Ländern seien immer unterschätzt worden: „Da hat auch so ein Entwicklungshelfersyndrom mitgespielt.“ Beim ehemaligen Herausgeber und Sat.1-Talker Erich Böhme hieß das noch brüderlich „Lebenshilfe.“ Ein eher erfolgloses Konzept, daß die Berliner in nur zwei Jahren rund 20.000 LeserInnen gekostet hat.

Weshalb Gruner + Jahr vor fast einem Jahr den damaligen Chefredakteur Hans Eggert, 49, in die Konzern-Diaspora zur Sächsischen Zeitung schickte und durch den 38jährigen Maier ersetzte. Seitdem fließt aus der Verlagskasse viel Geld in das lange vernachlässigte Unternehmen: Allein 100 Millionen Mark wurden in eine neue Druckerei investiert, ein neues Redaktionssystem wird gerade installiert: Letzte Vorbereitungen für einen Relaunch, der die Berliner mit mehr Farbe und seriöserer Schrift von ihrem provinziellen Erscheinungsbild befreien soll. Weil aber die eben erst eingeweihte Druckerei abermals aufgerüstet werden muß, um dort in Zukunft mehr Farbseiten (und mehr Farbanzeigen) drucken zu können, wird die grafische Runderneuerung frühestens im nächsten Jahr stattfinden; in der Zwischenzeit halten sich die Hausgrafiker bei Laune, indem sie die Leser mit gelegentlichen Kostproben des kommenden Layouts verwirren, die sie munter fast jeden Tag an wechselnden Stellen ins Blatt einstreuen.

Für Maier kommt es ohnehin darauf an, „was in der Zeitung steht und nicht, wie es drinnen steht“. Als abschreckendes Beispiel hat Maier den stagnierenden Tagesspiegel gleich vor der Tür. In dessen neues Erscheinungsbild steckte der sparsame Holtzbrinck- Verlag Millionen, vergaß aber schlicht, auch gute Journalisten zu kaufen. Um einem ähnlichen Schicksal zu entgehen, laufen Maier und Herausgeber Dieter Schröder (Ex-Süddeutsche Zeitung) mit gezücktem Scheckbuch durch die Lande und rekrutieren, was in der deutschen Presse einen guten Namen hat: So wechselten der Bonn-Korrespondent Ulrich Deupmann und Sportchef Klaus Hoeltzenbein von der Süddeutschen nach Berlin, und mit Frank Junghänel, Andreas Molitor und Regine Sylvester machte sich gleich die halbe Reporterriege der Wochenpost davon, um in Zukunft dem Kisch-Preisträger Alexander Osang den Rücken zu stärken.

Kein Wunder, daß beim Aufmarsch der Edelfedern nicht wenige von den alten RedakteurInnen das mulmige Gefühl beschleicht, „bald die Koffer packen zu müssen“. Zwar hat Maier angekündigt, gemeinsam mit dem altgedienten Redakteursstamm eine Art Süddeutsche Zeitung des Nordens produzieren zu wollen, „aber von gemeinsam sieht man nicht viel“, wie es hinter vorgehaltener Hand heißt.

„Ich bin ein echter Fan von Konkurrenzkampf unter den Redakteuren. Das steigert nur die Qualität“, gibt Maier den herrschenden Verdrängungsängsten neue Nahrung. Im Verlagshaus, daß schon äußerlich aufgrund zahlreicher Umbauten einer Baustelle gleicht, schwankt die Stimmung zwischen Aufbruchseuphorie und Angst um den Arbeitsplatz. Die Ankündigung, alle klassischen Ressorts zu verstärken, schürt das Unwohlsein auf den langen Gängen.

Auch wenn Maier nichts von „Sozialdarwinismus hält“, hilft man ungeliebten Angestellten mit dezentem Mobbing und hohen Abfindungen auf die Sprünge, um sich dann „im Einvernehmen“ zu trennen. Dabei sind die Veränderungen im Impressum nicht nur das Resultat eines Ost-West-Konflikts. Mit Vizechef Kurtzbach und Politik-Ressortleiter Mathias Zschaler verabschiedete sich auch profiliertes Westpersonal, welches einst eigens zur Kompetenzverstärkung geholt wurde.

Obwohl das Personalkarussell am oberen Limit rotiert, steht dem Blatt wohl keine wirkliche inhaltliche Wende ins Haus. Zwar rügt Maier gerne die „Senatshofberichterstattung“ der Berliner Presse und nimmt sein eigenes Blatt dabei nicht aus. Doch Exsenatssprecher Werner Kolhoff, den dieser Vorwurf als Lokalchef trifft, sieht wenig Anlaß, von der bewährten Linie abzuweichen – außer natürlich, „qualitativ wesentlich besser“ zu werden.

Beim angeschlagenen Tagesspiegel fürchtet man derweil, daß der „Wind of Change“, der Alexanderplatz erfaßt hat, das eigene Blatt wegpusten könnte. Schon lange reagiert man im Verlagshaus an der Potsdamer Straße auf jede kleinste Bewegung bei der Berliner mit zunehmender Panik. Da ist es nur ein schwacher Trost, daß Maier bei jeder Gelegenheit betont, nicht als „Tagesspiegel-Terminator“ an die Spree gekommen zu sein – daß er dessen Leserreservoir anzapfen will, läßt sich schwerlich leugnen.

Ein riskantes Unternehmen, denn selbst wenn es gelingt, im Westen neue Leserschichten anzusprechen, besteht immer noch die Gefahr, auf jeden neuen Leser in Charlottenburg drei LeserInnen in Marzahns Plattenbautensiedlungen zu verlieren.

Für diese Zielgruppe rüstet sich inzwischen die Springer-Zeitung Berliner Morgenpost, die zum 1.Oktober mit Wolfgang Kryszohn einen boulevardgeprüften neuen Herausgeber von der B.Z. bekommt. Der Welt-erfahrene Peter Phillipps wird neuer Chefredakteur. Die Hauptstadt erlebt, so scheint es, in Bälde einen Entscheidungskampf der Verlagsgiganten.