Ab heute lebt der Chef selbst!

Große Dinge tun: Kinder haben, ohne schwanger zu sein; gefallene Mädchen von der Staße auflesen und mit Kassandra um den Ausgang hadern – Woody Allens „Geliebte Aphrodite“  ■ Von Petra Kohse

Ein Amphitheater im Frühmorgenlicht. Die Sitzreihen sind leer, aber zu sanften Sirtakiklängen biegen Masken- und Sandalenträger um die Ecke und kündigen ein schicksalhaftes Spiel an. Schnitt: Woody Allen in einem New Yorker Westside-Restaurant. Er ist Lenny Weinrib und hat Grund zur Sorge. Seine Frau Amanda, eine zielstrebige Galeristin (Helena Bonham Carter), will ein Kind haben, ohne schwanger sein zu müssen, aber für ihn kommt eine Adoption wegen der Gene nicht in Frage.

Zurück ins Amphitheater. Umstandslos nimmt der Chor den Gesprächsfaden auf und rät von Kindern überhaupt ab. In Versen allerdings. Auch Laios und Iokaste treten auf, die Eltern von Ödipus. Wer, wenn nicht sie, könnte wissen, womit bei Kindern zu rechnen ist: „Und wenn sie erwachsen sind / ziehen sie in lächerliche Orte wie Idaho.“

Tatsächlich wird diesmal Schicksal gespielt. Sportreporter Lenny Weinrib ruft die zuständige Göttin, die Moira, an, sie erscheint ihm als Aphrodite, und alles wird gut. Ein Märchen, ein zauseliges. Der Weg zum Glück ist selbstverständlich steinig und führt an Mißlichkeiten aller Arten vorbei. Immer wieder taucht der Chorleiter (F. Murray Abraham) als schlechtes Gewissen auf, der Chor biedert sich in New Yorker Parks als Chorus Line an, und umgekehrt muß sich Kassandra im Amphitheater als „Miß Party-Pooper“ begrüßen lassen. Aber wie das Tragische auch um seine Berechtigung buhlt – Lenny beschämt es letztlich eben doch mit schierem Glück.

Dabei sieht es zunächst gar nicht gut aus, wie immer, wenn Mr. Allen was versucht. „Meine Antwort ist definitiv nein“, sagt Lenny, als ihn Amanda wegen einer Adoption bekniet, und in der nächsten Szene hält er prompt ein Baby im Arm.

Der Goldschnuck wird Max genannt und soll Rabbiner werden. Schon ein Jahr später ist er kaum noch hinter den ganzen Spielsachen zu entdecken, die seine vernarrten Eltern um ihn angehäuft haben. Sei es der anthroposophische Kindergarten, die 37. Abendeinladung bei Leuten, die er nicht kennt, oder ein Umzug – Lenny darf zu allem nur abnicken.

„Wer ist bei euch der Boß?“ fragt Max, während sie die Kisten packen. Und Lenny antwortet: „Wie kannst du das fragen. Ich natürlich. Deine Mutter trifft nur die Entscheidungen.“

Soweit kann's der antike Chor zufrieden sein. Dann aber kommt die Wendung. Die Sache mit den Genen läßt Lenny keine Ruhe, und trotz eindringlicher Warnungen beschließt er, die leibliche Mutter von Max zu suchen. Er findet sie (der Chorleiter kriegt Krisen) zu seinem Entzücken und Entsetzen in der Pornodarstellerin Linda Ash. Ihr Künstlername ist Judy Come (so was ähnliches wie Sylvie Schwanz), und sie ist nun wirklich allerhand.

In rasant geblümter Hose und im rosa Strickjäckchen öffnet Mira Sorvino dem vermeintlichen Freier die Türe, und vor dem, was sich darunter verbirgt, schwinden Lenny fast die Sinne. Doch Linda kennt dergleichen, kramt ihm beruhigend im Nacken herum und führt ihn durch die Wohnung. Rammelnippes, Kakteen in Form von Riesenschwänzen, und – sie hat an alles gedacht – auch im Aquarium ist ein wippender rosa Gummipimmel versenkt.

Linda könnte Lennys Tochter sein, ist tatsächlich aber die Mutter seines Sohnes und sicher fleischlicher als alles, was er selbst jemals an Mutter gehabt hat.

Und auch wenn er noch nicht wissen kann, daß Amanda zur gleichen Zeit anfängt, mit ihrem Mitgaleristen zu techteln, wäre Lenny unbesehen für alles zu entschuldigen, was er jetzt über sich kommen ließe.

Indes, Lenny hat zwar auch das, vor allem aber anderes im Sinn. Schließlich will er nicht nur einfach mal wieder den guten blow-job, der einem Mann ja wohl zusteht, sondern endlich (vielleicht zum erstenmal in seinem Leben) Dinge tun, große Dinge, etwas verändern, eingreifen, etwas bewegen. Ab heute lebt der Chef selbst!

Und das nicht nur in eigener Sache: Wenn sich Max irgendwann nach seiner Mutter erkundigen wird, soll Linda ein anständiges Leben führen. Und indem Lenny Linda zum Ausstieg aus der Pornobranche überredet, kann er auch endlich aktiv in seine Vaterrolle einsteigen. Dramaturgisch geschickt spielt Allen hier sowohl mit der Hoffnung, den bedenkenträgerischen Intellektuellen mit Eheproblemen endlich fröhlich quiekend in einem Plüschbett zu sehen, als auch mit den Anforderungen an das politisch korrekte Verhalten eines family man.

Und vielleicht versucht er damit auch aus der Endlosschleife auszubrechen, in die ihn die fortgesetzte Spiegelung von Allen als Protagonist und Allen als öffentlicher Person in den letzten Jahren bugsiert hat. Ein doppelt oktroyiertes role model, das zum role-over-model geworden ist: Zunehmend wurden die Filme vor allem als Szenen aus dem Hause Allen rezipiert. Der flotte Rückzug in die Historie wie in „Bullets over Broadway“ oder ins Genre wie in „Manhattan Murder Mystery“ ist die eine Möglichkeit, dem zu entkommen, die beherzte Rückkehr in die verfänglichste (weil pseudo-authentischste) filmische Situation die schwierigere.

Eine Katharsis (auch und gerade der Zuschauer) tut not, womit auch erklärt wäre, was die Antike in einem Woody-Allen-Film zu suchen hat. (Wobei man es dann doch gleich wieder „typisch Allen“ finden kann, daß sich das echte Amphitheater, in dem gedreht wurde, nicht in Griechenland, sondern auf Sizilien befindet.)

Im Dienste diverser Läuterungen also machen sich der Regisseur und seine Hauptfigur an die Operation Linda. Natürlich verläuft dies nicht ohne Widerstände, Türenknallen, Essen an rotweißkarierten Tischdecken, Pferderennen, Kinnhaken vom Pornoproduzenten und lustigen Peinlichkeiten (so etwa, wenn er Linda einem dumpfen Boxer und Zwiebelfarmer vorstellt, der sie für eine Darstellerin in „Schindlers Liste“ hält). Schlußendlich führt sie aber (siehe oben) zur allseitigen Zufriedenheit zum Ziel. Denn bei so viel charmanter Sozialarbeit wollen auch die Götter den Eingriff in ihre Geschäfte nicht verargen.

Die Himmel öffnen sich und geben einen feschen Hubschrauberpiloten für Linda frei, Amanda fällt Lenny – im Amphitheater, wo es alle Party-Pooper sehen können – mit neuerwachter Innigkeit in die Arme, auch der boxende Zwiebelfarmer winkt am Ende paarweise ins Bild, und der Chor hat sich einen hinreißenden Sandalentanz aufgespart: „When you're smiling, the whole world smiles with you...“

Wie schön! Zumal Woody Allen seinem Lenny unter Ausschluß der Öffentlichkeit kurz vor Schluß ja doch noch gegeben hat, was des Lennys schließlich auch ist, und Lenny und Linda in all dem jeweiligen Familienglück mit einem doppelten Geheimnis Legende werden dürfen.

„Geliebte Aphrodite“ (Mighty Aphrodite). Regie: Woody Allen. Kamera: Carlo DiPalma. Mit F. Murray Abraham, Woody Allen, Helena Bonham Carter, Mira Sorvino u.a. USA, 1995, 95 Min.