Machiavelli ist Kambodschaner

Kambodschas Exkommunisten wollen mit Hilfe abtrünniger Führer des Kriegsgegners „Rote Khmer“ ihre Macht dauerhaft sichern  ■ Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Für Kambodschas Premierminister Hun Sen heiligt der Zweck alle Mittel. Um den jahrelangen Guerillakrieg der Roten Khmer friedlich zu beenden, hat er einem ihrer berüchtigtsten Führer Vergebung für seine Verbrechen angeboten. Es ist das jüngste Ergebnis monatelanger Geheimverhandlungen der kambodschanischen Regierung mit Ieng Sary, ehemals Nummer zwei der Roten Khmer, unter deren Herrschaft in den 70er Jahren über eine Million Menschen umkamen.

Bereits in der vergangenen Woche wurde bekannt, daß sich mehrere hohe Rote-Khmer-Militärs mit Tausenden Soldaten von ihrer Führung um Pol Pot abgespalten und auf die Seite des abtrünnigen Ieng Sary geschlagen haben. Zweifellos stecken die Roten Khmer jetzt in der tiefsten Krise seit ihrem Sturz 1979. Viele einfache Rote- Khmer-Kämpfer und einige Offiziere sind in den letzten Monaten desertiert. Niemand weiß, wie viele Soldaten die Organisation, die bis vor kurzem noch knapp ein Fünftel des Landes kontrollierte, noch hat. Schätzungen liegen zwischen fünf- und zehntausend.

Trotzdem hat die abtrünnige Guerilla ihre Waffen noch nicht niedergelegt. Offenbar stellen die Roten-Khmer-Militärs sehr hohe Forderungen an die Regierung: Sie wollen nicht nur Kommandanten der von ihnen bislang kontrollierten Regionen an der Grenze zu Thailand bleiben. Sie wollen sich auch frei im Lande bewegen können, eine eigene Partei gründen und unbehelligt politisch aktiv werden.

Viele Kambodschaner aber reagieren mit Entsetzen auf die Vorstellung, daß Rote-Khmer-Führer nach all ihren Verbrechen wieder eine Rolle in der Politik des Landes spielen könnten – oder sich unbehelligt ins Exil zurückziehen dürften. Ieng Sary war zur Zeit der Roten-Khmer-Herrschaft Außenminister. Er war es, der damals viele Exilkambodschaner in die Heimat zurücklockte, unter dem Vorwand, sie würden beim Aufbau des Landes gebraucht. Die meisten wurden dann ermordet oder starben bei Zwangsarbeit. 1979 hatte die neue, von Vietnam eingesetzte Regierung Kambodschas ihn und andere Führer der Roten Khmer wegen „Völkermordes“ in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Die Spaltung der Roten Khmer kommt zu einer Zeit, in der sich auch die kambodschanische Regierung in einer tiefen Krise befindet. Seit den von der UNO organisierten Wahlen 1993 hat Kambodscha zwei Premierminister: Hun Sen, der schon davor die kommunistische Regierung Kambodschas führte, und der antikommunistische Königssohn Norodom Ranariddh. Sie sind offen miteinander verfeindet. Wie vergiftet das Verhältnis mittlerweile ist, wurde erst kürzlich deutlich: Da druckte die Phnom Penh Post Auszüge einer Rede von Hun Sen ab, die er schon Ende Juni vor Arbeiterinnen des Transportministeriums gehalten hatte. Hohnsprühend stellte er seinen Amtskollegen als korrupten, feigen und unfähigen Politiker dar und forderte ihn auf, die Regierung zu verlassen. „Ich sage es jetzt: Wenn Du nicht gehst, bist Du ein Hund!“

Bislang hat Prinz Norodom Ranariddh auf diese Beleidigung nicht reagiert – was ihm in der kambodschanischen Öffentlichkeit als große Schwäche angekreidet wird. Sein Ruf ist ohnehin mehr als angeschlagen. Er gilt als korrupt und unentschlossen. Sein Vater, der kranke und immer einflußlosere König Sihanouk, hat sich von ihm distanziert. Vor allem aber hat er die Hoffnungen der kambodschanischen Bevölkerung enttäuscht. Die vielen Dollarmillionen aus Entwicklungshilfegeldern und der Abholzung der Wälder, die seit 1993 ins Land flossen, blieben meist in den Taschen der Politiker und hoher Funktionäre hängen. Die Mehrheit der neun Millionen KambodschanerInnen lebt in schier auswegloser Armut.

Was hält den Prinzen noch auf seinem Posten? Für Kambodschas bekanntesten Oppositionspolitiker, Sam Rainsy, der schon als Finanzminister mit seiner Kritik an der Korruption in der Regierung kein Blatt vor den Mund nahm – und dafür im vergangenen Jahr aus dem Kabinett geworfen wurde –, ist der Fall klar: Erpressung. Denn Kopremier Hun Sen wolle trotz seiner Rhetorik um jeden Preis einen Bruch der Regierung verhindern, bevor er mächtig genug ist, allein weiterzumachen. Deshalb dürfe sein verhaßter Partner die Koalition noch nicht verlassen. Hun Sen habe den Prinzen, der sich im Amt bereichert hat, in der Hand. Denn der Prinz war dumm genug, seine Unterschrift unter massenweise krumme Deals zu setzen. Der ebenso korrupte Hun Sen hingegen sei klug genug gewesen, die belastenden Dokumente an sich zu bringen. Gleichzeitig setze Hun Sen alles daran, seine eigene Macht zu festigen und die Opposition einzuschüchtern.

Wenn der machtbewußte und über viele Jahre erprobte Koregierungschef mit dieser Strategie Erfolg hat, sagt Oppositionspolitiker Rainsy, dann wird er bei den kommenden Wahlen in zwei Jahren die Mehrheit gewinnen. Dann könnte er wieder „Nummer eins“ in Kambodscha werden, vor allem wenn er sich auch als derjenige präsentieren kann, der den Krieg mit den Roten Khmer beenden konnte.

Kambodscha-Experten glauben, daß eine nach Kriegsende legalisierte Rote- Khmer-Partei vor allem bei jüngeren Wählern Zulauf haben könnte – über die Hälfte der Bevölkerung ist heute unter zwanzig Jahre alt und hat die Terrorherrschaft der Roten Khmer nicht mehr erlebt. Das könnte die politische Landschaft gewaltig verändern. Es ist nicht auszuschließen, daß es dann zu neuen Koalitionen kommt – sogar zur Zusammenarbeit des skrupellosen Hun Sen mit seinen einstigen Todfeinden.