■ Ökolumne
: Brief an Joschka Von Jürgen Rochlitz

Lieber Joschka,

seit Du in Bad Neuenahr Dein wirtschaftspolitisches Konzept vorgelegt hast, häufen sich Äußerungen und Initiativen in der Partei, die uns Grüne auf einem Weg weg von unserem zentralen Thema Ökologie zeigen. Als Umweltpolitiker sehe ich diesen Prozeß mit großer Sorge, besteht doch die Gefahr, daß wir unser ökologisches Profil verschwimmen lassen. Wenn die Fraktion im Internet „ökologisch, sozial, für Frauen- und Menschenrechte, pazifistisch“ als Prinzipien ihrer Arbeit benennt, dann frage ich mich, ob diese Reihenfolge in der Realität noch eine Bedeutung hat!

Unser neues wirtschaftspolitisches Profil, grüne Mittelstandspolitik, die Frage nach Steuersenkungen und der Zustand der Staatsfinanzen können doch nur dann ein Thema sein, wenn dabei die ökologischen Aspekte nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Wenn das zentrale politische Thema der Zukunft der Umgang mit der Globalisierung sein sollte, dann muß es um ökologische und soziale Standards gehen.

Weder rote Socken noch der SPD-Führungsbrei gehören auf die Agenda des kommenden Wahlkampfs, sondern die allseits ausgelatschte und schon im gelben Sack der Frau Merkel gelandete Umweltpolitik dieses Landes! Ökologisches Wirtschaften und Leben wird der zentrale Punkt jeder künftigen Entwicklung sein. Für diese Politik der ökologischen Wachsamkeit stehen wir bei den Wählern hoch im Kurs, damit werden wir identifiziert und bleiben durch die Konsequenz, in der wir diese Fragen stellen, auch identifizierbar.

Unsere historische Situation zur Zeit der Gründung bestimmt das Programm. Etwa ein Jahrhundert, nachdem sich die soziale politische Bewegung der Schwächeren und Abhängigen annahm, wurde ein drittes Element der Politik entdeckt: Natur und Umwelt neben Wirtschaft und Arbeit. Dir als engagiertem Ex- Umweltminister brauche ich ja nicht die besonderen Qualitäten dieses dritten, wahrscheinlich letztlich alles entscheidenden Elements zu erläutern.

Doch scheinst Du heute ganz aktuell zu vergessen, wie strategisch bedeutsam eine eindeutige Anwaltschaft für Natur und Umwelt ist. Ich finde es unerträglich, wenn Frau Merkel in aller Öffentlichkeit behaupten kann, daß Umweltpolitik auch bei den Grünen nicht mehr oben auf der Tagesordnung steht. Wir wissen doch oder ahnen es zumindest, daß ein Wirtschaftsmodell des Wachstums nicht nur ökologisch in den Ruin führt, und daß ein Globalisierungsprozeß mit dem Ziel weltweit ähnlicher Lebensverhältnisse wie in Mitteleuropa oder Nordamerika zum Scheitern verurteilt sein muß. Die ökologischen Grenzen werden ohne eine politische Umkehr der Ausbeutung und Verseuchung der Erde ein dramatisches Ende setzen.

Und um diese Umkehr und ihre politische Einleitung geht es! Aufgabe der Grünen wäre es, diese Umkehr zu formulieren, selbstverständlich als gesellschaftlich erträglichen Prozeß. Arbeiten wir also diesen Prozeß unter dem Primat der Ökologie als unabwendbare Notwendigkeit heraus, als Gegenmodell zu einem globalisierten ökologischen Vernichtungsfeldzug. Bei dieser Aufgabe werden wir den Beifall der nur auf ökonomischen Gewinn Setzenden nicht bekommen, soviel ist sicher. Um so mehr müssen wir gezielt nach Unterstützung bei den ökologisch Interessierten und Bewanderten suchen – und die gibt es glücklicherweise auch über den engen Kreis der Umweltbewegung hinaus, auch im Mittelstand und in der Wirtschaft. Dazu müssen wir nicht neue politische Schwerpunkte künstlich in die Grünen-Politik implantieren, mit denen wir unsere bisherigen Wähler verprellen.

Mir liegt an der Klarstellung, daß es aus meiner Sicht nicht um eine Führungskrise bei uns geht, sondern um eine elementare Sinnkrise: Wir müssen uns entscheiden, welcher politische Ansatz im Zentrum stehen soll – mit einem Bauchladen voller Themen mag man kurzfristig dem politischen Jahrmarkt genügen, für 1998 und danach wären wir damit nicht gerüstet!