Auch für Liebeskranke ein Angebot machen

■ Reform macht erfinderisch: Mit Schlankheitskost und Seelenmassage stoßen Arztpraxen in Marktlücken. Unternehmensberater helfen beim Marketing

Die schwergewichtige Patientin hat ein schlechtes Gewissen, aber nur ein klitzekleines bißchen. „Ich habe gestern gesündigt, Herr Doktor. Mandelcremetorte. Aber das war 'ne Ausnahme, ehrlich!“ Heiko Böhmer, Allgemeinarzt in Berlin- Kreuzberg, lächelt begütigend wie Dr. Brockmann in der Fernsehserie „Praxis Bülowbogen“: „Bis jetzt hat die Diät doch gut angeschlagen. Da wollen wir Sie mal messen lassen!“ Die Patientin marschiert zur Waage. „Diätprogramme sind auch Psychologie“, meint Böhmer, „die Leute brauchen nicht nur das Produkt, sondern auch die regelmäßige Ansprache.“

Böhmer hat sich in seiner Praxis ein kleines Zusatzgeschäft aufgebaut: Er weist übergewichtige Patienten in das Diätprogramm der „Deutschen Gesellschaft für Gesundes Leben“ ein und verkauft die dazugehörige Schlankheitskost – lösliche Pülverchen. Aufmunternde Gespräche mit dem Arzt sind im Preis von rund 175 Mark pro Monat enthalten, und der ist privat zu zahlen. „Die Sache läuft gut“, freut sich Böhmer. In der Ernährungsberatung kommt der 40jährige auf einen besseren Stundenlohn als mit seiner üblichen Kassenmedizin. „Ohne Zusatzeinkünfte gehen Praxen heutzutage pleite“, ist der Arzt überzeugt.

Harte Konkurrenz und restriktive Gesundheitspolitik haben zur Folge, daß immer mehr niedergelassene Mediziner mit solchen Behandlungen locken, die die Patienten selbst zahlen müssen. „Wir begrüßen das, wenn die Angebote seriös sind“, sagt Karsten Vilmar, Präsident der Bundesärztekammer. Annette Kruse-Keirath von „Cubico“, einer auf Ärzte spezialisierten Unternehmensberatung im westfälischen Lüdinghausen, wird konkreter: „Ärzte müssen lernen, zu verkaufen.“

Unter den Zusatzangeboten seien Diätberatungen „ein Renner“. Aber auch „lebensbegleitende Prävention“ besonders für Frauen im Berufsstreß oder in den Wechseljahren sei im Kommen, so Kruse-Keirath. Die Angebote: Für 150 bis 300 Mark lassen die Ärzte den Mineralstoff- und Vitaminhaushalt und den Kreislauf der Klientinnen checken. Am Ende gehen die Patientinnen mit Empfehlungen zu Ernährung, Sport und Entspannung nach Hause. In der bis zu 45minütigen Beratung „gibt's dann natürlich auch ein Täßchen Kaffee, wie bei einem guten Friseur“, schildert Kruse-Keirath.

Privat zu zahlende Laserbehandlungen von Altersflecken, Falten und Besenreißern sind ebenfalls „ein künftiger großer Markt“, ist die Ärzteberaterin überzeugt. Gleichfalls im Rennen sind Eigenblutbehandlungen für Allergiker, Bachblütentherapie, Akupunktur und die elektronisch gesteuerte Bioresonanz-Entspannung.

Beim Kampf um Patienten liegen jene Ärzte vorn, die auch Streicheleinheiten für die Seele verteilen. Kruse-Keirath berät Ärzte daher nicht nur bei neuen Behandlungsangeboten, sondern schult die Halbgötter in Weiß erst mal in Grundsätzlichem. „Da gibt es doch viele, die können überhaupt nicht kommunizieren.“ Lange Wartezeiten in tristen Vorzimmern, Fachchinesisch oder gar rauchende Ärzte sind für die Beraterin „nicht dienstleistungsadäquat“. „Manche Ärzte arbeiten im Grunde gar nicht gern mit Menschen.“

Der Muffel-Arzt hat heutzutage keine Chance mehr, gefragt ist der patientenzentrierte Dienstleister mit psychosozialer Kompetenz. Deshalb haben manche Ärzte auch ihre Öffnungszeiten erweitert. Der praktische Arzt Hinnerk Delventhal aus Berlin-Kreuzberg hat sich damit „eine regelrechte Marktlücke gesucht“, meint er. Er öffnet am Mittwoch, wenn alteingesessene Kollegen zum Tennis gehen. Unter der Woche empfängt Delventhal bis 19 Uhr und sogar am Samstag und Sonntag zwischen 17 und 19 Uhr. „Viele Patienten kommen inzwischen lieber am Wochenende, weil sie wegen des Arztbesuchs nicht mehr im Betrieb fehlen wollen“, schildert der praktische Arzt.

Die ungewöhnlichen Öffnungszeiten bescheren dem Arzt eine Siebentagewoche, sichern aber noch keine ausreichenden Einkünfte. Unter Abzug aller Kosten, Verpflichtungen und seiner Wohnungsmiete kommt Delventhal „auf rund 1.280 Mark netto im Monat, die mir zum Leben verbleiben“. Kürzlich mußte Delventhal sogar seine Putzfrau entlassen – sie war zu teuer. Jetzt überlegt der praktische Arzt und ausgebildete Gestalttherapeut, den Patienten Behandlungspakete mit jeweils zehnmal zwanzig Minuten Gestalttherapie anzubieten, privat zu zahlen. „Das wäre was für Leute in Lebenskrisen, beispielsweise bei Trennungen oder schwerem Liebeskummer.“ Barbara Dribbusch