Lebed: Innenminister will großen Kaukasuskrieg

■ Jelzins Tschetscheniengesandter fordert den sofortigen Rücktritt Anatolij Kulikows

Moskau (taz) – Alexander Lebed, Jelzins Sonderbeauftragter in Tschetschenien, hat den Schuldigen für den Tschetschenienkrieg ausgemacht. Gerade von seiner zweiten Kaukasusvisite zurück, trat er in Moskau vor die Presse. „Sie wollten einen der Kriegshelden kennenlernen?“ fragte der General. „Hier ist er: Innenminister Armeegeneral Anatolij Kulikow.“ Lebed bezichtigte den Innenminister, am Debakel der russischen Armee in Grosny schuld zu sein. Doch damit nicht genug. Er warf dem Innenministerium vor, bewußt den Krieg zu forcieren und einen Flächenbrand zu verursachen. „Mir liegen Hinweise vor, wonach das Innenministerium Inguschetien und Dagestan in einen großen kaukasischen Krieg hineinziehen will.“ In der Nachbarrepublik Dagestan wachse die Bereitschaft zu einem bewaffneten Konflikt: „Perspektivisch droht uns ein neuer kaukasischer Krieg.“ Lebed warf dem Innenministerium vor, ihn während seiner Visite in Tschetschenien beschattet zu haben. Man hätte alles versucht, damit er nicht „hinter den Vorhang schauen“ konnte. „Ich habe trotzdem hingeschaut und erkannt, das ist ein Verbrechen.“

Als Konsequenz forderte der Chef des Sicherheitsrates, dem Jelzin vorgestern weitreichende Kompetenzen eingeräumt hatte, den sofortigen Rücktritt Kulikows. Ultimativ wandte sich Lebed an den Präsidenten: „Sie haben eine schwierige Entscheidung zu fällen. Nur einer kann bleiben, Lebed oder Kulikow.“ Sollte Jelzin am Innenminister festhalten, werde er nicht zurücktreten, nur sei es dann erforderlich, zu „anderen Methoden überzugehen“, orakelte Lebed.

Der Innenminister wies in einer ersten Stellungnahme die Vorwürfe zurück und verlangte von Lebed, sie öffentlich zu widerrufen: „Wenn die Anschuldigungen nicht formell zurückgenommen werden, biete ich dem Präsidenten meinen Rücktritt an. Vielleicht schreibe ich das Gesuch noch heute.“

Es ist damit zu rechnen, daß die massiven Vorwürfe nicht im Sande verlaufen. Geht Kulikow, rollen mit Sicherheit weitere Köpfe im Innenministerium und in der Armee. Gerüchten zufolge steht General Wjatscheslaw Pulikowski, stellvertretender Kommandeur der Russen in Grosny, kurz vor seiner Suspendierung.

In Tschetschenien traf Lebed mit dem Chef der Separatisten, Selimchan Jandarbijew, zusammen. Ab Sonntag wird eine gemeinsame Kommission, der neben den Vertretern Rußlands unterschiedlichste Kräfte der Kaukasusrepublik angehören, die Lage im Kriegsgebiet genau beobachten. Nach dem Gespräch äußerten sich beide Seiten zuversichtlich. Lebed will bereits einen Friedensplan ausgearbeitet haben, der indes vom Präsidenten noch abgesegnet werden muß. Klaus-Helge Donath