Geschichten des Weges

■ „Va 'Yomer“: das faszinierende Bibelprojekt des Itim Theatre

„Da kam der Geist des Herrn auf Jeftah...“ ist im Buch der Richter der harmlose Anfang der so einfachen wie brutalen Geschichte Mann opfert Tochter für Kriegssieg. Auf der weißen Bühne erzählt eine schwarz gekleidete Schauspielerin kniend diese Geschichte. Sprache und atmosphärische Musik erinnern kurz an eine buddhistische Gebetsmühle, dann bekommt die Musik fast unmerklich Beats und der Körper Bewegung. Langsam wird der Beat Techno, die Bewegung Tanz und die Opferbereitschaft Aufbegehren. Plötzlich dreht sich die Schauspielerin zum Ensemble um, das mit Deuteronium 21 beginnt: „Wenn man einen Erschlagenen findet...“

So phantastisch einfach entwirft Rina Yerushalmi in ihrer Bibelmontage wunderbar poetische Bilder, in denen sich abendländische Wurzeln und ihre heutige Realität treffen. Sie wollte den Text nicht dramatisieren, sondern seine spezifische Theatralität finden: Kein Krippenspiel für den internationalen Festivalzirkus. Gespielt werden nicht biblische Situationen oder Figuren, gespielt wird die Erzählsituation. Die Erschaffung Adams erzählt sich ein Paar wie einen Traum der letzten Nacht, ein Psalm wird zu Pop, ein Kapitel zur Geschäftsbesprechung, andere zu Plädoyers, zum Gekicher kleiner Mädchen. Unkommentierte Bibeltexte werden so selbstverständlich. In Sekunden lassen die virtuosen Schauspieler heutige Situationen entstehen, ohne den Assoziationsfreiraum der Geschichten zu zerstören. Die „erzählte Bibel“ ist die vertraute Form und gleichzeitig eine clevere Interpretationsmöglichkeit. Sie läßt den Text unberührt und schafft durch das Erzählen Raum für Identifikation oder Distanz und Ironie.

Den braucht das Alte Testament auch. Denn die Wege durch die Bibel, die aus von den Schauspielern ausgewählten Stellen gebaut wurden, sind keine netten Geschichten. „Va 'Yomer - Er aber sprach“ erzählt von der Schöpfung und den Verträgen zwischen Gott und den Menschen. Viel Gesetz, Sex, Strafe. Bilder von überraschender Härte entstehen in schlichten ästhetischen Arrangements. Die Darsteller tragen auf der kargen Bühne schwarze Kleidung. Das bildnerisch eingesetzte Licht (Avi Yona Bueno), Gesang, Musik und choreographierte Bewegung ergänzen sich.

Perfektes Ensemblespiel läßt die Gruppe mal Hintergrund, mal Brennspiegel für Einzelne werden. Manchmal scheint diese Konzentration Schauspieler plötzlich verschwinden zu lassen. Faszinierend werden so die Szenen im zweiten Teil des Abends „Va 'Yelech - Und sie gingen“ verwoben. In Slowmotion zieht man gemeinsam ins gelobte Land. Einzelne brechen aus und schildern Geschichten des Weges. Das Ensemble wird Teil der Geschehen und läßt dann den Einzelnen wieder eintreten in den bis heute andauernden Zug. Die Ironie des ersten Teils weicht hier unaufdringlicher Aktualität. Musik, der Klang der hebräischen Sprache und phantastisch klare Bilder erzeugen eine zwar formale, aber dennoch tranceartige Intensität. Vergangenheit oder Zukunft? Im letzten Bild verstreuen sich die Schauspieler in alle Richtungen: „Und sie kamen in das Land Kanaan. Und zur Zeit wohnten die Kanaaniter im Land...“ Matthias von Hartz

Heute, 19.30 Uhr, beim Sommertheater Festival, Kampnagel K2