Die andere Dimension des Fliegens

■ Kribbeln im Bauch wie in der Achterbahn: Ein Ausflug des Blindenvereins zum Segelfliegen in Lemwerder

lar freue ich mich auf das Segeln, aber ich bin auch etwas ängstlich, was da wohl auf mich zukommt.“, meint Martina Moormann, als ihr Mann sie am Samstag im Rollstuhl auf das Gelände der Aircraft Services Lemwerder schiebt. Was folgte, geschieht schließlich nicht alle Tage: 18 Blinde und ihre sehenden BegleiterInnen hatten am Wochenende die Möglichkeit, in Segelflugzeugen der Weser-Fluggemeinschaft e.V. mitzufliegen. Nach dem Autofahren im März auf dem gleichen Rollfeld (taz vom 11.03.96) war dies die zweite Aktion des Bremer Blindenvereins, Blinden zu ermöglichen, was sonst unerreichbar ist.

Initiator Wolfgang Bäkefeld erläutert: „Als wir hier im März selbst Auto fahren durften, hatte die Weser-Fluggemeinschaft ein Beiprogramm für die Wartenden veranstaltet: Sie konnten die Segelflieger im Hangar ertasten, sich sogar hineinsetzen und bekamen alles erklärt. Da entstand bei vielen die Lust, auch einmal mit so einer Maschine zu fliegen.“ Die Weser-Fluggemeinschaft war sofort einverstanden, und die Blinden waren begeistert.

Ein echter Familienausflug: Mit selbstgebackenen Kuchen, guter Laune und viel Zeit ging es am Samstag nachmittag nach Lemwerder. Gerd Freese vom Vorstand der WFG erklärte die Technik des Segelfliegens. „Wenn Sie mal herschauen wollen, hier habe ich ein Modell eines Fliegers.“ – Da mußte er sich korrigieren und gab das Modell zum Ertasten herum. Ein eigens für die Gäste gebogener Draht machte die bevorstehende Flugrunde plastisch. „Die meisten, die das erste Mal segelfliegen, sind sehr begeistert.“, meinte auch Udo Fangmeier, erster Vorsitzender der FliegerInnen, „Aber vieles, was wir Sehenden gar nicht so bemerken, erkennen Blinde viel besser, z.B. die Geschwindigkeit. Ich bin deshalb schon sehr gespannt auf ihre Eindrücke.“

In kleinen Grüppchen wurden die Blinden zum Startplatz gefahren, wo zwei Doppelsitzer für sie bereit standen. Eine 300 PS starke Seilwinde zog die Flugzeuge wie einen Drachen auf etwa 350 Meter Höhe. „Ein Gefühl wie in der Achterbahn“, beschrieb später einer der Blinden den Antrieb, „der Magen hebt und senkt sich, aber ich hatte keine Angst.“ Nachdem sich das Stahlseil ausklinkte, segelten die Flieger frei in der Luft, zogen Kreise, immer auf der Suche nach der besten Thermik. Thermik entsteht, wenn kühle feuchte Luft auf ein Hochdruckgebiet trifft. Dann steigt die kühlere Luft wie Sektperlen auf und die Segelflugzeuge mit ihr. Doch mit der Thermik stand es am Samstag nicht gerade gut – manche Rundflüge endeten schneller, als es den MitfahrerInnen lieb war. „Das würde ich gerne noch mal machen!“, war oft zu hören. „Das Kribbeln im Bauch war spannend.“

Nur eine Frau blieb lieber auf dem Boden – „Aber mir wird doch schon beim Autofahren schlecht!“, entschuldigte sie sich. Die sehenden Gäste genossen den Ausblick auf Vegesack, auf läusegroße Kühe auf grünen Wiesen und auf die Weser. Und die blinden Gäste? „Ich habe viel mehr auf die Luftgeräusche, die Geschwindigkeitsänderun-gen und die Richtungswechsel geachtet.“, meinte Wolfgang Bäkefeld, „Ein tolles Gefühl, in der Luft zu schweben.“

Uwe Hillmann saß schon im Februar hinterm Autosteuer. „Aber das Fliegen ist doch eine andere Dimension.“ Und Bäkefeld gestand, daß er nervöser war als vor dem Autofahren: „Schließlich ist man schon oft im Auto mitgefahren, geflogen sind die meisten aber höchstens in großen Urlaubsfliegern.“ Insgesamt war es aber für alle so schön, wie sie es erwartet hatten. Und der Blindenverein denkt sogar an eine Wiederholung – der WFG hat nichts dagegen. bik