Der taz-Sommerroman: „Dumm gelaufen“ – Teil 31

Das alles zeugte Gewalt. Das zeugte Leichen. Das zeugte auch oder insbesondere tote, unschuldige Täter. Und gefakte Abschiedsbriefe: Ich wollte nicht mehr leben. Ich konnte nicht mehr leben. Schmackes hat mich vergewaltigt. Ich habe ihn in die Hölle geschickt! Der Abschiedsbrief war stolz darauf, so trivial, banal und egal zu sein.

Über den Wolken

Das unwichtigste Kapitel: Aber Tote wollen sich überall einmischen! Schmackes hätte gerne mit seinen Posaunen und Trompeten geworfen, aber sie bleiben ihm an den Händen kleben. So ein Pech auch!

Herbert Schmackes trieb hoch oben über dem Hinterhof in der Langen Reihe auf nassem Kondensat. Er regte sich auf. Er regnete sich ein bißchen ab. Sehr sauer. Er war sauer. Diese junge Frau ist nicht die Mörderin! Die Wolke störte der Protest nicht. Sie nahm ihn mit, Richtung Giftberg in Georgswerder, immer noch auf der Suche nach einem Platz im Himmel. Herbert schickte einen und einen zweiten Blitz. In den Wohnungen von Glatter und Poller gingen sofort die Lichter aus. Andere Wolken folgten Herbert: Ein Verdacht auf Eden haftete an Herbert. Man sah es dem unbeschwerten Flug seiner Wolke an.

Es ist der große weiße Wal gewesen ...

Wenn ein Kommissar sauer ist, feiern vermutlich andere die Erfolge, die er eigentlich erst in den nächsten Tagen in die Tasche stecken wollte ...

Spuck! Spuck! Spuck!

Brook spuckte auf den Bürgersteig. Brook spuckte auf die Blindheit. Brook spuckte auf die Bürger von St. Georg und die Jungs vom dreizehnten Revier.

„Von wegen Suizid. Von wegen Mörderin. Von wegen Brauns. Von wegen – diese Carola.“

Spuck. Spuck. Spuck.

Brook spuckte sich auf die Stiefel. So endete schließlich kein Kriminalfall. Kleine sensible Mörderinnen geben sich nur den Strick in den Kriminalserien von Derrick, Tatort oder so. Und wenn sie unschuldig sind! Und sie jeder der Tat bezichtigt! Vor allen Dingen die Fernsehzuschauer, um die Lust an der Lynchjustiz zu befriedigen.

Brook polierte sich die Stiefel mit Galle und Spucke.

Er ließ die Presse die Polizei feiern. Brook feierte den Erfolg nicht ab. Und noch einen Erfolg vermochten seine ehemaligen Kollegen zu verbuchen. Durch ihre verstärkte Anwesenheit am Hauptbahnhof, nach dem Mord an Herbert Schmackes, wurden in kürzester Zeit alle kriminellen Delikte in andere Stadtteile verlegt.

Aber bereits in der nächsten Ausgabe fragten sich die Reporter, ob diese präventive Rumsteherei nicht letztlich auf die Kosten der Steuerzahler ginge. Sie hatten recht. Vor allen Dingen pflichtete Brook den Zeitungen in der Annahme bei, daß durch die Entkriminalisierung am Hauptbahnhof der Charme der Freien und Hansestadt Hamburg endgültig verloren ging.

Stadt setzte sofort die Penner wieder in die Ecken. Junkies auf die Straßen. Den Babystrich wieder ein. Und der amtierende Bürgermeister ging in den Straßen St. Georgs von Sozialfall zu Sozialfall, um sie zu besichtigen, weil er mit ihnen über die Große Freiheit in Hamburg floskeln wollte. Die Freiheit ist immer nur die Freiheit der Anderslebenden! Dieser Satz ging später durch die Presse.

Und das gesamte lokale Kolorit machte sich wieder breit; im Schlepptau die Armut, das Elend, das Verbrechen und die Touristen. Oft kleine, gelbe Asiaten! Schließlich war die Kriminalität in Hamburg-St. Georg, St. Pauli und St. Consorten ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor im Budget der Justiz. Der Erfolg: Das Elend kauerte trefflich im Bild. Es war sein Job. Und mit Routine ekelte es die Touristen an.

(Fortsetzung folgt)

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