Pathos statt Punk

■ Konsequent, aber langweilig: „New Model Army“ verweigerten im Aladin das Evergreen-Programm

Wenn eine Kult-Band lange genug existiert, macht sie in der Bewertung ihrer Fans der ersten Stunde drei Stadien durch. Zuerst wird sie selbstverständlich geliebt. Wenn sie dann von zuvielen geliebt wird, schreien die älteren AnhängerInnen „Ausverkauf!“ und hassen sie. Läßt die Band sich dadurch nicht ins Bockshorn jagen, kommt schließlich Phase 3: Die alten Fans kaufen sich zwar noch immer nicht die neuen Platten, gehen aber wieder ohne zu murren in die Konzerte; in der Hoffnung, daß möglichst viele alte Sachen gespielt werden.

Diese Hoffnung enttäuschten „New Model Army“ am Freitag im Aladin. Künstlerisch mochte der Schwerpunkt auf neuem Material konsequent sein, bewies aber ein weiteres Mal, daß die alten Songs schlicht besser waren. Pathos war NMA niemals fremd, aber die Geradlinigkeit ihrer Arrangements und die reduzierte Instrumentierung verfremdeten die weltschmerzenden Texte von damals durch ihre zornige Energie. Seit einiger Zeit meinen Frontmann Justin Sullivan und seine drei Mitstreiter, von denen keiner zur Original-Army gehört, ihre musikalischen Fähigkeiten mit Geigen und Keyboards kundtun zu müssen. Genau das führte beim Bremer Konzert zu einer merkwürdig gebremsten Rock-Show. Obwohl der erklärte Anti-Amerikaner Sullivan inzwischen mit kurzen Haaren und breit gestreiftem Hemd aussieht wie ein Nachwuchs-Ami-Punker, hielt er sich leider meist von punkigem Material fern und spielte dafür die filigraneren Stücke in Grund und Boden. Die Heimat-Ballade „Valleys of Green & Grey“ mit verstimmter Gitarre und kaum hörbarem Gesang war ein trauriger Tiefpunkt.

Zu den wenigen Höhepunkten gehörten die Stücke aus dem 90er Album „Impurity“, das Experten gerne als Anfang vom Ende betrachten. Die Experten irrten sich damals, denn „Impurity“ ist noch immer eines der besten Alben der Band. Das zeigte sich an diesem Abend erneut: Die gemäßigte Bal-lade „Purity“ demonstrierte, daß es durchaus möglich ist, NMA-Songs mit einer Geige anzureichern, ohne daß diese alles zuklebt.

Der ausnahmsweise adäquat vorgetragene Knüppel-Song „Get Me Out“ machte direkt Hoffnung, daß doch noch alles gut werden würde. Und auch die beiden gelangweilten Zugaben-Sets gerieten lediglich durch die „Impurity“-Nummer „Vanity“ kurzzeitig hörenswert. Schlechte Stimmung kommt auf „New Model Army“-Konzerten dennoch nie auf. Das liegt daran, daß die Band ihre Karten im Abonnement verkauft und somit die fanatischsten Fans mitreisen. Beim Auftritt springen die dann wild durcheinander oder krabbeln sich zu zweit oder dritt auf die Schultern, damit die oberste Person für alle gut sichtbar die gerade gesungene Textzeile gestisch umsetzen kann. Einige dieser Schlachtenbummler meinte man tatsächlich aus den 80ern wiederzuerkennen. Zwar hatten sie inzwischen „mehr Metall im Gesicht“, aber die keltisch anmutenden Tätowierungen auf den verschwitzten nackten Oberkörpern waren die- selben. Na klar, diese treu Ergebenen störten sich nicht an der musikalischen Belanglosigkeit und der allzu routinierten Show. Nur die T-Shirt-Verkäuferin durchschaute den faulen Zauber. „He's a dirty liar!“ rief sie, als Sullivan versicherte, jetzt kämen ein paar Songs, die die Band morgen nicht spielen würde.

Andreas Neuenkirchen