Mit Flipper zum Index

Gesichter der Großstadt: Der Chinese Benhui Chen hat ein Computerprogramm entwickelt, das den ersten deutschsprachigen Index für das Internet erstellt  ■ Von Christian Meseth

Benhui Chen verbringt nicht wenig Zeit vor dem Fernseher. Am liebsten sieht er Actionfilme. Aber auch die Serie mit dem Delphin Flipper hat es ihm angetan. Die hat er so oft gesehen, daß er seine Diplomarbeit an der Technischen Universität über Flipper geschrieben hat. Sein Diplom wird wohl mit einem „sehr gut“ bewertet werden. Der Flipper, um den es in Chens Diplomarbeit geht, ist aber nicht der Delphin aus dem sonnigen Florida. Chens Flipper ist der Name eines Computerprogramms, das der Dreißigjährige im Rahmen einer praktischen Diplomarbeit entwickelt hat: Die erste „search engine“ für den deutschsprachigen Bereich des World Wide Web (WWW), dem populärsten Teil des Internets.

Als Chen vor einem halben Jahr damit begann, wußte er selbst noch nicht so genau, wie eine solche „Suchmaschine“ funktioniert. Das ist ein Programm, das das World Wide Web vollautomatisch durchstreift, um aus den dort gefundenen Wörtern einen Index zu erstellen. Wer im Web nach Informationen zu einem bestimmten Begriff sucht und über den Rechner der TU „Flipper“ anwählt, bekommt eine Liste mit Internet-Seiten ausgespuckt, auf denen der gewünschte Begriff auftaucht. Rund dreißigtausendmal pro Woche wird diese Möglichkeit seit Mai diesen Jahres genutzt.

Benhui Chen stammt aus der südchinesischen Provinz Hunan. Er kam im März 1989 nach Berlin, um Elektroingenieurwesen zu studieren. Das erste Jahr verbrachte er mit Sprachkursen. „Deutsch ist immer noch ein Problem“, sagt er, und es klingt wie eine Entschuldigung. Chen spricht ruhig und sehr gleichmäßig. Manchmal sucht er nach dem passenden Wort in der ihm fremden Sprache, oder er verliert sich im Gestrüpp der deutschen Grammatik.

Am meisten hat ihn am Anfang der geregelte Straßenverkehr in Deutschland beeindruckt. In China gebe es zwar auch Regeln, „aber man beachtet sie dort nicht so“, erzählt Chen. Seit er China verlassen hat, ist er nur ein einziges Mal zurückgekehrt. Das war vor drei Jahren. Das Land ist ihm fremd geworden. „Die Veränderungen in China sind so extrem, daß ich nichts wiedererkenne“, sagt er. Berlin sei seine „zweite Heimat“ geworden.

Seit nunmehr zwei Jahren lebt auch seine Frau Hua Peng, die er noch in China geheiratet hat, mit ihm in Berlin. Ihre Zweizimmerwohnung in der Nähe des Charlottenburger Mierendorffplatzes ist spartanisch eingerichtet und sehr aufgeräumt. Auf einem kleinen Tisch in einer Zimmerecke neben der Couchgarnitur steht Chens Computer. In einer anderen Ecke die Stereoanlage, darunter sorgfältig geordnete CDs. Links seine – Vivaldi, Beethoven, Ravel, Mozart und andere Vertreter der klassischen Musik – und rechts die seiner Frau – Take That, Madonna und chinesische Popmusik. Wenn Chen manchmal bis zu zehn Stunden am Computer sitzt und programmiert, hört er gerne im Hintergrund Geigen- oder Klavierkonzerte.

Jenseits der Computerwelt existiert für Benhui Chen noch eine andere Welt: die der chinesischen Küche. Am liebsten kocht er zusammen mit Freunden. In Sachen Essen sei er „ein typischer Chinese“ geblieben, meint er. Mindestens dreimal die Woche fährt er zum asiatischen Supermarkt. Ab und an geht er mit seiner Frau in ein Chinarestaurant in der Kantstraße.

Heimweh hat Chen längst nicht mehr. Auch Fernweh scheint er nicht zu kennen. Berlin hat er in den sieben Jahren nur viermal verlassen. Auch jetzt – er hat gerade zwei Wochen Urlaub – wird er in Berlin bleiben. Seine letzte Reise führte ihn vor kurzem nach Hamburg, um mit „einem großen Verlagshaus“, wie er mit einem vielsagenden Lächeln erzählt, über eine mögliche Vermarktung von „Flipper“ zu verhandeln. Auch eine Werbeagentur hat Interesse bekundet. Ob Chen nun das eine oder andere Angebot annimmt, eine Entscheidung wird in den nächsten Wochen fallen.

Bisher lebt Chen von dem Geld, das er bei einer Softwarefirma verdient. Auch während der sechsmonatigen Entwicklungszeit von „Flipper“ jobbte er nebenbei. Er blieb nicht nur im Zeitlimit. Er war sogar schneller als erwartet. Dabei war Chen, bevor er mit der Diplomarbeit begann, auf dem Gebiet der Internet-Informatik nicht besonders bewandert. Weniger Spaß als das Programmieren, Forschen und Entwickeln macht Chen die schriftliche Dokumentation seiner Arbeit. „Ich sage immer: Lest doch den Code, da steht doch alles drin“, sagt er.

Doch promovieren würde Chen schon gern. Er hat die Qual der Wahl: Die Softwarefirma, bei der er arbeitet, hat ihm ein Angebot gemacht, und auch der Betreuer seiner Diplomarbeit möchte ihn gerne an der Universität behalten. Dieser hat übrigens eine etwas prosaischere Erklärung für den Namen der ersten deutschen „search engine“. „Flipper“ leite sich vom Namen des Instituts ab, das die Diplomarbeit betreut hat und mit den Buchstaben FLP abgekürzt wird – „Formale Modelle, Logik und Kommunikation“.

Flipper-URL: http://www.flp.cs.tuberlin.de/flipper/