Der Barbier von Bebra (13)

■ Von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel

Was bisher geschah: Kripopraktikant Pril hat eine Intrige gegen Kommissarin Güzel gesponnen.

Einen Porsche mieten und poppen auf Sylt! Bald schon würde er sich diesen alten Menschheitstraum erfüllen können, dachte Mirko Pril, als er die Stufen des Polizeipräsidiums hinaufsprintete. Es war sechs Uhr morgens, eine Stunde vor Dienstbeginn. Sicherlich hatte Kommissar Hunter das Belastungsmaterial inzwischen bekommen. Ein toller Bursche, dieser Pfeiffer. Wenn der Mann so gut war, wie er aussah, war sein Stoff das reine Dynamit.

Darauf hatte Pfeiffer Pril sogar sein Ehrenwort gefaxt.

Voller Vorfreude begab sich der Praktikant in die Teeküche und nahm an dem Beistelltischchen Platz, das ihm Kommissar Hunter zugewiesen hatte.

Seit einem Dreivierteljahr übte Pril dort, wie man Fingerabdrücke nimmt. Mit der rechten Hand führte er seinen linken Zeigefinger, drückte ihn aufs Stempelkissen und rollte ihn auf einem Blatt Papier ab. Den Abdruck untersuchte er mit einer Lupe und verglich ihn mit allen anderen, die er in den letzten Wochen von diesem Finger genommen hatte. Langsam hatte er den Bogen raus.

„Übung macht den Meister“, hatte Kommissar Hunter gesagt. Jeden Monat einen neuen Finger. Im September war der linke Daumen an der Reihe, eine weitere Hürde auf dem steilen Weg nach oben. Was danach wohl Spannendes kam?

Gisela Güzels Stuhl wackelte ja bereits, dafür hatte er, Mirko Pril, der Shooting-Star unter den Berliner Cops, gesorgt. Wenn er die Kommissarin erst einmal beerbt hatte, dann war es nicht mehr weit bis an die Spitze, und Sylt war in greifbare Nähe gerückt!

Genial, dachte Pril. Nie mehr mit blauen Fingern nach Hause kommen! Die Farbe ging so verteufelt schwer ab. Auch sein Schwanz war schon ganz blau.

„Priiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiil!“

Kommissar Hunters Urschrei riß den Praktikanten aus seinen feuchten Träumen. Konnte so die Stimme eines Mannes klingen, der ihn befördern wollte?

Mit weichen Knien eierte Pril zum Chef.

In der Tür hielt er inne. War das wirklich Rauch, was aus Kommissar Hunters Ohren trat?

Rot und brodelnd saß der alte Bulle hinter seinem Schreibtisch. Die riesigen, vor mühsam gebändigter Wut bebenden Hände hielten eine dunkelgrüne Kladde. Im Zeitlupentempo erhob sich der Hauptkommissar und kam bedrohlich näher.

Was Pril empfand, war Todesangst im besten Sinne.

Dann brach es aus Hunter heraus.

„Was! Ist! Das! Hier?“ Er schlug den Praktikanten mit der Kladde nieder. „Es interessiert mich nicht, ob Gisela Güzel in der zehnten Klasse mit dem Ratzefummel geworfen hat!“ Mit Karacho ballerte er die Kladde auf den Boden. „Ich frage dich, du Kakerlak: Was ist das hier?“

Pril zitterte wie Hechtsuppe. Er nahm die Kladde in die Hand. Auf dem Etikett stand: „Klassenbuch der 10b, Rudolf-Steiner- Gymnasium Hamburg-Farmsen, Schuljahr 1979/80.“

„Ich warte!“

Hastig klappte Pril das Klassenbuch auf. Sein Blick fiel auf einen rot unterstrichenen Eintrag. „Güzel kaut im Unterricht.“ Ungläubig blätterte er weiter und las: „Güzel hat ihr Häkelzeug vergessen“, „Güzel will nicht beten“, „Güzel gibt Widerworte“, „Güzel hat gelacht“, „Güzel hat an die Tafel geschrieben: ,Ich pfeife auf Askese und gehe zu Langnese‘. Sie ist voller Begierden. Ihre Versetzung ist gefährdet.“

Pril stöhnte kläglich auf. Das sollte Dynamit sein? Auf der letzten Seite fand er einen mehrfach rot umrandeten Satz: „Güzel hat Nagellack benutzt. Unsere Gemeinschaft muß sich vor ihr schützen und stößt sie aus.“

Mirko Pril begann zu flennen. Dafür hatte er nun seine Großmutter umgebracht!

Fortsetzung folgt

Vorabdruck, erscheint bei Edition Nautilus