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■ Die Christdemokraten stellen die Gretchen-, SPD und Grüne die Bündnisfrage: Die PDS muß beide beantwortenWie hältst du es mit Brie?

Nicht immer gelingt es Oskar Lafontaine, die von ihm angemahnte einheitliche Linie seiner Partei vorzuzeichnen. Vor gut einem Monat gab der Vorsitzende zu Protokoll, die SPD werde im Bundestagswahlkampf 1998 auf eine Koalitionsaussage verzichten. Nun ist die Debatte über mögliche Regierungsbündnisse, um ein Reformprojekt unter Ein- oder Ausschluß der PDS, wieder entbrannt.

Eine Debatte zur Unzeit, wie der Grüne Werner Schulz meint und wie ihm Lafontaine wohl beipflichten würde? Das wäre sie nur, wenn sie mit einem einfachen Ja oder Nein zu erledigen wäre. Eine Kampagne der CDU zum Schaden der SPD und zum, wenn auch ungewollten, Frommen der PDS? Das allein wäre sie, wenn sie nicht auf ein strategisches Dilemma der SPD und auch der Bündnisgrünen verweisen würde: Wie hältst du es mit der PDS? Beide Parteien können bei dieser Frage mit keiner eindeutigen Antwort aufwarten.

Die SPD muß aus zwei Fehlern der Wahl von 1994 lernen. Sie hatte seinerzeit unterlassen, ihren Machtanspruch zu konkretisieren und auf eine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen verzichtet. Sie hat sich um dieser Ambition willen der PDS bedient. Beides hat Wähler gekostet. Letzteres würde abermals Verluste bringen, denn entschieden wird die Wahl im Westen.

Weniger, weil er einen glühenden Antikommunismus im Herzen trägt, sondern weil er die Demoskopie im Kopf hat, würde der CDU-Generalsekretär Hinze die Rote-Socken-Kampagne selbst dann neu auflegen, wenn sich die SPD bis 1998 an die Worte ihres Vorsitzenden hielte und keinen Muckser zu möglichen Koalitionen verlauten ließe. Mögliche Bündnisse mit der PDS, soviel ist gewiß, wird zu den zentralen Wahlkampfthemen 1998 gehören. Das weiß auch André Brie, Vordenker der PDS. Weil es jetzt schon gilt, seine Partei auf diese Kampagne vorzubereiten, hat er die Debatte um das „positive Verhältnis zum Grundgesetz und zur parlamentarischen Demokratie“ entfacht.

Daß er sich nun über die heftigen Reaktionen auf seine Vorhalte überrascht zeigt, muß verwundern. Denn seine Ausführungen laden nachgerade zu Doppeldeutungen ein. Er hat eindrücklich seiner Partei attestiert, daß es ihr in Teilen an eben jenem positiven Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie mangelt. Mit der Benennung dieser Differenz hat er ihr den gewohnten Weg in die Geschlossenheit verbaut, der mit der CDU-Attacke schon vorbereitet war.

Daß er sich vom Hegelschen Begriff des Positiven leiten läßt, wird ihm von seinen Genossen und Genossinnen, sofern sie es überhaupt wahrnehmen, allenfalls als mildernder Umstand angerechnet. Sie lesen Bries Diagnose wie Hintze in der beamtenrechtlichen Konnotation der mangelnden Verfassungstreue. Das sitzt – und provoziert Widerspruch. Die Reihen werden nun gegen Brie geschlossen – und so die eigene Perspektive verbaut. Denn diese ist an die von Brie eingeklagte Auseinandersetzung gebunden.

Die PDS wird regierungsfähige Partei werden, oder sie wird über kurz oder lang bedeutungslos. Regierungsfähig bedeutet, da hat Brie recht, demokratische Verläßlichkeit, bedeutet Abschied von einem verschwiemelten Anspruch auf Systemtranszendenz, die sich in diesem Falle nach vorne wie nach hinten DDR buchstabiert, jedoch von keiner Dialektik getrieben wird, sondern Leben allein aus gebrochenen Biographien bezieht.

Die PDS muß allerdings koalitionsfähig werden, will sie ihr Reformprojekt seriös verfolgen. Einen wesentlichen Schritt zur Koalitionstauglichkeit hat ihr in Sachsen-Anhalt die SPD ermöglicht. Den nächsten Schritt muß die PDS allein tun, denn die möglichen Partner können ohne eigene Verluste keine Veränderung mehr evozieren, sondern lediglich darauf reagieren. Koalitionsfähigkeit setzt Verläßlichkeit voraus und bedeutet darüber hinaus die Formulierung eines realpolitischen Entwurfs dessen, was sich auch Brie als demokratischen Sozialismus auf sein Banner geschrieben hat.

Dabei wird viel Schall verklingen und Rauch verfliegen. Daß am Ende genug Substanz bleibt, um die von Brie verfolgte bundespolitische Option zu tragen, daß tatsächlich im Westen neben SPD und den Grünen Platz für eine linke Partei ist, kann nach den bisherigen Erfahrungen bezweifelt werden. Weil diese Zweifel mittlerweile auch in der PDS um sich greifen, bestehen Vorbehalte gegen Brie auch bei jenen Politikern, die sein Nein zum Poststalinismus in der Partei zwar teilen, sich aber eher am Leitbild einer „ostdeutschen CSU“ orientieren.

Weniger sozialistische Ideologie als vielmehr landsmannschaftliche Interessenspolitik ist ihre von den ostdeutschen Wählern goutierte Rezeptur. Doch lebt auch das bayerische Original nicht aus eigener Kraft, sondern verdankt seine Kraft einem Partner, der die bundespolitische Bedeutung sichert. Daran mangelt es der PDS.

Sie hat folglich wenig Chancen. Um ja keine zu verbauen, hat der Parteivorstand die Politik des Abwartens so kultiviert, daß daraus Stagnation wurde. Äußere Handlungsfähigkeit zu gewinnen setzt jedoch die innere voraus. Wenn sie diese Prämisse Bries nicht akzeptiert, wird die PDS zwar weiterhin über Optionen reden, sie indes nie wahrnehmen können. Mit seiner Offensive ist er unversehens (oder gar aus Kalkül?) zum Indikator des von ihm eingeklagten Klärungsprozesses geworden.

Die PDS wird daran gemessen werden, wie sie mit dem ihr gegenwärtig unliebsamsten Spitzenpolitiker verfährt. Folgt sie seinem Kurs, werden sich die Risiken einer Regierungsbeteiligung minimieren. Es werden sich zudem sukzessive die Maßstäbe des Streits verschieben. Auch dafür ist Brie ein Indikator. Noch vor drei Jahren wurde die PDS danach betrachtet, ob sie sich seiner wegen der früheren IM-Tätigkeit entledigt. Nun wird sie daran gemessen, ob sie ihm folgt.

Zugleich verkündet – Ironie der Geschichte – eine potentielle Bündnispartnerin, die Grüne Kerstin Müller, ohne Wenn und Aber, die PDS sei bereits eine demokratische Partei – nur ehemalige Stasi- Spitzel (wie Brie?) gehörten nicht ins Parlament. Anscheinend braucht nicht nur die PDS einen Klärungsprozeß. Dieter Rulff

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