Abgekanzelt: der Kohl

■ Eine Machtmaschine gerät langsam aus dem Takt

Bundeskanzler Kohl wirkt seltsam deplaziert an seinem Urlaubsort am Wolfgangsee. Nahmen sich Interviewaufnahmen während der vorigen Jahre wie selbstreferentielle Bestätigungen der politischen Lage in der Bundesrepublik aus – gemütlich, ein wenig kühl, aber optimistisch –, so sah man gestern abend eine „Machtmaschine Kohl“ (so mit spitzfingrigem Respekt der Spiegel), welche etwas mürbe geworden zu sein scheint im Laufe der Jahre und im Gefolge seiner Politik.

Allein: Alles nur eine Frage der Optik. Die Bilder gleichen sich. Nur die Betrachter mögen nicht mehr darüber hinwegsehen, daß diese seine pfälzische Republik ziemlich knarzt im Gebälk: ein Heer von Arbeits- und Perspektivlosen, eine Finanzpolitik für die Wohlhabenden, eine visionslose Bildungspolitik und eine Wirtschaftspolitik, die jedes Zukunftsrisiko scheut.

Kohls Körpersprache verrät, daß er ans Aussitzen selbst kaum noch glaubt. Gott sei Dank hat er ja nur die SPD zum Opponenten. Die wenigstens läßt ihn guten Gewissens urlauben: So schwächlich wie die sich zeigt, müßte es ihm um seinen Posten nicht bange sein.

Und doch: Die Maschine stottert. Streiten sich FDP-Gerhard und CSU- Waigel, sagt der Kanzler mit mäkeliger Gelassenheit und wider besseres Wissen: Die streiten nicht, weil es keinen Streit gibt. Das ist der in den achtziger Jahren erlernte und erfolgreiche Stil der Kohlschen Politik, der aber immer weniger zieht. Jetzt traut sich sogar ein CDU-Mann wie Christian Wulff, Rivale Gerhard Schröders in Niedersachsen, keck zu sagen: „Auch der Kanzler ist ein Mensch. Menschen machen Fehler.“

Wer wüßte das nicht? Doch früher hätte eine solch majestätsbeleidigende Adresse gereicht, den Absender umgehend abzustrafen. Legion die Zahl der Kohl-Kritiker, die ihrer Renitenz nicht froh wurden: Heiner Geißler zum Beispiel. Er und all die anderen konnten ausgebootet werden, weil nichts erfolgreicher schien als Kohl.

Das muß in zwei Jahren zur nächsten Bundestagswahl nicht mehr stimmen. Es scheint, als ob es manchem Politiker in der Christdemokratie doch mulmig wird – angesichts der wirtschaftlichen Lage, die das Volk ungnädig stimmt, und angesichts ihrer minderen Karrierechancen, wenn die CDU abhalftert. Jan Feddersen