Russen ordnen Waffenruhe an

■ Lage in Grosny erstmals ruhig, Machtkampf im Kreml geht weiter: Lebed bleibt, Kulikow bleibt, Jelzin schweigt

Moskau (taz/dpa) – In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny blieb die Lage gestern ruhig, nachdem am Morgen das tags zuvor ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen in Kraft getreten war. Einen Tag nachdem die Rebellen eine Waffenruhe angeordnet hatten, zog das russische Oberkommando nach. Unklar blieb, ob sie für ganz Tschetschenien oder nur für Grosny gelten soll. Russische Truppen und Rebellen warfen sich gegenseitig vor, gegen die Waffenruhe zu verstoßen.

Der Sonderbeauftragte für Tschetschenien, Alexander Lebed, und Innenminister Anatoli Kulikow setzten derweil ihren Streit fort. Noch am Freitag hatte Lebed Präsident Jelzin aufgefordert, sich zwischen ihm und Innenminister Kulikow zu entscheiden. Lebed beschuldigte den General des Innenministeriums, einer der Hauptverantwortlichen für den Krieg im Kaukasus zu sein. Das Ultimatum verlief folgenlos. In einem Telefonat soll Boris Jelzin den Innenminister gebeten haben, im Amt zu bleiben. Lebed nahm am Wochenende nicht an einer geschlossenen Sitzung des Innenministeriums teil, auf deren Tagesordnung auch Tschetschenien stand.

Die russische Öffentlichkeit fragt sich, welches Ziel Lebeds undiplomatische Attacke gegen den Chef des Inneren verfolgte. Wenn Lebed – wie behauptet – Beweise vorbringen könne, daß Kulikow den Krieg ausweiten wolle und an den Mißerfolgen schuld sei, hätte er sich erst vertraulich an den Präsidenten wenden sollen. Zudem demonstriere die russische Seite den Tschetschenen, was für ein tiefer Riß durch die Reihen der Generalität verlaufe.

Womöglich, so wird spekuliert, wollte Lebed durch die Beschuldigung der Polizeitruppen die Reputation der Armee retten. Womöglich möchte der General a. D. nur einen ihm wohlgesonnenen Innenminister – um in Tschetschenien erfolgreich sein zu können und sich eine Seilschaft für die nächsten Präsidentschaftswahlen zu sichern. Klaus-Helge Donath