Getanzte Generalexorzismen

■ Neodanzas „18 Minutos por 2 1/2 tiempos bolos“ beim Sommertheater Festival

Sie winden sich, zappeln, keuchen vor Anstrengung und Ohnmacht. Die vier Neodanza-Tänzer aus Venezuela, unter ihnen auch ihr Choreograph Alexey Taran, sitzen mit dem Rücken zum Publikum, eingetaucht in kaltes Neonlicht. Langsam entknoten sie ihre weißen Gesichtsbinden, werfen stattdessen immer wieder die Haare wild in die Stirn. Dann wiegen sie sich in einen pas de deux mit ihrem Stuhl, dem Objekt ihrer Begierde und zugleich Instrument ihrer Selbstzucht. Eine harte, stählerne Sitzgelegenheit mit verstellbarer Rücken- und Armlehne, die sich mit einem Griff zu einer Art Exekutionssitz ausklappen läßt. Übereinandergestellt wird der Stuhl zum Pranger, dann zum überdimensionalen Kindersitz, von dem aus die Welt einschüchternde Dimensionen bekommt und der kleine auf ihm thronende Mensch die ersten zivilisatorischen Maßnahmen erleidet. Assoziationen an jenes Gestell werden wach, daß einen zur Stubenreinheit domestizierte oder bei Tisch unausweichlich Benimmregeln aussetzte. In zig Variationen exerzieren die Tänzer in „18 Minutos por 2 1/2 tiempos'bolos“, dessen Kurzfassung bereits beim „Moviemientos 96“ im Frühjahr auf Kampnagel bejubelt wurde, ihre Haßliebe zu Folter und Gewalt. Immer wieder kuscheln sich die Tänzer an die harten Lehnen, lassen sich von ihnen kalt umarmen. Stellen sie sich auf eigene Beine, scheint das eigene Rückgrat bald zu weich, knicken die Knie ein, surrt die Körperachse haltlos zusammen. Sie taumeln, stürzen schließlich.

Die Arbeit Alexey Tarans, der vormals beim kubanischen Nationalballett tanzte, stemmt sich hartnäckig gegen jede Ästhetisierung, inszeniert Gewalt als gleichförmige, schroffe Geometrie. Doch die stetige Rückkehr zum Folterinstrument ist bald kaum aufregender als ein somnambuler Walzer. Da wird der Körper immer wieder zu einer einzigen Züchtigungswunde, drohen die Ungezogenen sich selbst mit einem Dududu-Zeigefinger bis schließlich alle zum sonoren Bekenntnisgemurmel ansetzen, sich schrecklicher Sünden und allzu menschlicher Vergehen bezichtigen.

Nur einmal weiß die Choreographie eine neue Idee aus der getanzten Litanei zu koppeln und sich in wirklich Beklemmendes zu steigern. Eine Tänzerin entblößt ihren Oberkörper, schluchzt, betet, schreit. Aus einer Röhre fließt einfeiner Wasserstrahl auf ihren Kopf. Tropffolter als Generalexorzismus, lust- und schmerzvoll zugleich. Auf das Erlittene folgt die Reinwaschung in einer Badewanne. Das Wasser, jetzt nicht länger Schmerzenbringer sondern hart erreutes Seelensagrotan. Eine wunderbar einfache Parodie auf den Tauschhandel des katholischen Büßers mit der Dreiheiligkeit. So kraftvoll und beklemmend geht es in dem Stück nicht wieder zu. Die durchexerzierte Idee von abstrakter Gewalt und individueller Ohnmacht versteigt sich zur Etüde. Die Bewegungen finden keine Pointe mehr, können der fatalen Verbindung aus Lust und Schmerz keine neue Facette mehr abtrotzen. Und so plätschert das Ganze aus wie eine Bewegungsübung, die nunmal zu Ende gebracht werden muß, ein Schema das erledigt sein will.

Birgit Glombitza

Di, 20. August und Mi 21.August, 21 Uhr, Kampnagel, K4