Zimmer mit – guter – Aussicht?

In der Wandsbeker Krisenwohnung werden Drogenabhängige betreut  ■ Von Katrin Seibold

Es sieht aus wie in einer gepflegten Studenten-WG: Durch die Gardinen fallen Sonnenstrahlen, Stuck an der Decke. Eine Frau auf einem Schwarz-weiß-Poster blickt ernst auf die gemachten Betten und den Dielenboden. „Da draußen frühstücken wir“, sagt Rainer (Namen von der Red. geändert) und deutet auf den großzügigen Balkon. Gute Aussicht? Das weiß keiner, und doch hoffen es alle. Denn in der Krisenwohnung (Kriwo) Wandsbek wohnen Drogenabhängige, die alle davon weg wollen, was bisher ihre Sicht im Leben behindert hat: Heroin, Kokain, Alkohol, Tabletten.

„Die Leute, die zu uns kommen, sind obdachlos“, sagt Helmut Mathei, Mitarbeiter der Kriwo. „Sie wissen von uns über die Szene oder durch Prospekte.“ Ziel sei es, Zukunftspläne zu machen und zu verwirklichen, ob Abitur, neue Ausbildung oder Job. Vor allem aber müsse eine eigene Wohnung oder ein Zimmer gefunden werden.

Ein Zimmer mit Aussicht? Hendrik, der nach rund zehn Jahren den Absprung von der Nadel versucht, antwortet: „Das Schwierigste ist es, wirklich konsequent clean zu bleiben. Für einen gewissen Zeitraum schafft's jeder.“ Am kritischsten sei es, so Mitarbeiter Helmut Mathei, wenn einer eine Wohnung nicht bekommen habe, die er haben wollte. Dann sei die Aufbauarbeit aller Mitbewohner gefordert.

Und selbst dann ist die Situation kritisch: „Stürzt erstmal einer ab, kann er die ganze WG mitreißen“, erzählt Rainer. Viele, berichtet Mathei, müßten erstmal wieder lernen, „daß das Leben auch hart sein kann“: Beziehungsstreß aushalten, Enttäuschungen hinnehmen. Das Konzept der Kriwo Wandsbek sieht vor, Drogenabhängigen auch dann zu helfen, wenn sie nicht entziehen. „Akzeptierende Drogenarbeit“ nennen deren Betreuer das. Sie werden von den rund 190 Mark, die das Landessozialamt für jeden Bewohner pro Tag vorsieht, bezahlt. Eigentlich gibt es zwei Krisenwohnungen. In der einen, an der Tonn-dorfer Straße, wohnen neun abhängige Männer und Frauen, die sich teilweise morgens ihren Stoff am Bahnhof besorgen. Neben Einzelgesprächen findet jeden Abend eine Gesprächsrunde mit allen Mitbewohnern statt. Es gilt, innerhalb eines halben Jahres – länger darf niemand bleiben – Therapieplätze zu vermitteln, Schulden zu regulieren und einen geregelten Tagesablauf zu schaffen.

„Das find ich voll wichtig“, sagt Ellie. Sie wohnt in der anderen Wohnung in der Stapelfelder Straße, wo die Leute entweder substituiert oder clean sind. Auch hier gehören Treppenhaus und Bad putzen, Kochen und Abspülen dazu. Und das, so Mathei, sei für jemand, der jahrelang auf der Straße gewohnt hat, oft nicht leicht.

Trotz der Regeln ist für Ellie die Freiheit, selbst zu entscheiden, sehr wichtig. „Wir sind vor drei Monaten zu dritt aus einer Therapie abgehauen, weil wir nicht wie mündige Menschen behandelt wurden.“ Ellie hätte ihren Freund nicht sehen dürfen. In der Regel, weiß sie, sei das auch notwendig. Denn wenn der eine rückfällig werde, sei der andere auch schnell dabei. „Aber ob man sich trennt, um von der Droge weg zu kommen, muß man selbst entscheiden können.“ Dies sei in der Kriwo Wandsbek möglich.

Auch Projektleiter Klaus Lewandowski zog bei der Feier zum fünfjährigen Bestehen der Kriwo am Freitag positive Bilanz: 13 Prozent der Bewohner seien 1995 in einen eigenen Wohnraum gezogen, 12,7 Prozent von der Kriwo aus in den stationären Entzug gegangen. Den Weg zurück zur Familie, zu Freunden und ins Hotel – letzteres sei dann kein Erfolg – gingen 15 Prozent.

Doch zählt ein menschlicher Volltreffer nicht mehr als alle Prozente? Dazu Kriwo-Mitarbeiter Mathei: „Wir hatten mal eine hier, die war so schwer zugänglich. Ich habe mit ihr einen Gitarrenkurs gemacht und sie zu Amnesty und Greenpeace geschleift. Jetzt lebt sie wieder auf der Straße. Aber ich habe es in drei Monaten geschafft, ihr Vertrauen zu gewinnen. Das ist für mich Erfolg. Und vielleicht erinnert sie sich ja später mal an ihre Pläne...“