Mit dem Handy zum Sozialamt

Unternehmer, die nach einem Konkurs zum Sozialamt müssen, erleben einen Kulturschock. Allein in diesem Jahr gingen schon fast 1.000 Betriebe pleite  ■ Von Dorothee Winden

Die kommen mit dem Handy ins Sozialamt und sagen, sie hätten temporäre Schwierigkeiten. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die nächste halbe Million reinkommt.“ Hartmut Mießner, Leiter des Wilmersdorfer Sozialamtes, ist gelegentlich mit abgestürzten Überfliegern konfrontiert, die 30.000 bis 50.000 Mark zur Überbrückung von finanziellen Engpässen haben wollen. Meist handle es sich um Makler, Versicherungsvermittler und Anlageberater, allesamt Quereinsteiger, die zwar nicht die erforderliche Sachkunde, dafür aber um so höhere Gewinnerwartungen hätten.

„Früher hatten wir alle zehn Jahre so einen Fall“, sagt Mießner. Seit dem Mauerfall seien sie häufiger aufgetreten. Anfangs hätten die Banken solche Existenzgründer mit großzügigen Krediten ausgestattet. „Das Geld wurde dann eingesetzt, um sich ein Auto einer Nobelmarke zu kaufen und eine standesgemäße Mietwohnung im Grunewald zu beziehen.“ Wenn der Kredit aufgebraucht war, sich das schnelle Geld aber nicht einstellte, tauchten sie beim Sozialamt auf. „Die wenden sich gleich an den Amtsleiter“, weiß Mießner aus Erfahrung. „Der erste Einbruch kommt, wenn wir ihnen nach einem ersten Gespräch sagen, daß in ihrem Fall eine Überbrückung nicht in Frage kommt; sie müßten nun wie alle anderen auf dem Flur warten und einen Antrag auf Sozialhilfe stellen“, so Mießner. „Wir können die ja nicht in der Fürstensuite abfertigen.“

Zwei Fälle solch jungdynamischer Selbstüberschätzung sind derzeit beim Sozialamt Wilmersdorf aktenkundig. Meist erzeugten sie „erheblichen Verwaltungsaufwand“, weil sie vom Bezirksbürgermeister bis zum Petitionsausschuß der Bezirksverordnetenversammlung alle mit ihrem Schicksal beschäftigten und dem Sozialamt Ignoranz vorwürfen. Sie seien „der Regelfall“ der Unternehmer, die als Pleitiers beim Sozialamt strandeten, sagt Mießner.

Eine Einschätzung, bei der dem Mitbegründer von Ausweg e.V., einem Verein für gescheiterte Unternehmer, der Kragen platzt. „Das sind die absoluten Ausnahmen!“ schimpft Klaus Fischer*. Die wenigsten Unternehmer müßten Konkurs anmelden, weil sie über ihre Verhältnisse lebten. Vor allem das „unangemessene Verhalten der Banken“ treibe Firmen in die Pleite, Managementfehler seien nur in zehn bis zwölf Prozent der Fälle die Ursache.

Nach Angaben des Statistischen Landesamtes gingen in den ersten sechs Monaten des Jahres 956 Betriebe pleite, ein Fünftel mehr als im Vorjahr, als es im gleichen Zeitraum 809 waren. Im vergangenen Jahr gingen insgesamt 1.648 Firmen bankrott. Besonders hart trifft es die Firmeninhaber, die mit ihrem persönlichen Vermögen haften und nun alles verlieren: Selbst die Lebensversicherung kann gepfändet werden.

Nach der Kränkung, als Unternehmer gescheitert zu sein, wird der Gang zum Sozialamt als ultimative Demütigung erlebt. „Als Unternehmer haben ich die meisten Steuern bezahlt. Ich war Geldgeber für den Staat“, sagt Manfred Kossow, der vor vier Jahren mit seinem Betrieb pleite ging. Und dann saß er plötzlich als Bittsteller auf den Fluren des Sozialamtes. „Man fühlt sich wie ein Abhängiger, als ob man auf Gedeih und Verderb dem Apparat ausgeliefert ist. Wegen jeder Kleinigkeit muß man Rechenschaft ablegen“, ärgert sich Kossow. Eine Erfahrung, wie sie viele Sozialempfänger machen, aber für jemand, der sein eigener Chef war, ist dies besonders schmerzlich.

Auf dem Sozialamt prallen zwei Welten frontal aufeinander. „Der Beamte weiß, daß sein Stuhl noch da ist, wenn er mal rausgeht. Ein Selbständiger sorgt für sich selbst und ist bereit, Risiken einzugehen“, sagt Klaus Fischer. Obrigkeitsdenken und Bürokratie sind unternehmerischem Denken diametral entgegengesetzt. Man treibt sich gegenseitig zur Verzweiflung.

Nur nach zähem Ringen konnte Klaus Fischer das Sozialamt überzeugen, ihm für seine Ölheizung statt der monatlichen Auszahlung die Heizkostenpauschale für den Winter im voraus zu zahlen. „Keine Heizölfirma liefert Ihnen einmal im Monat Nachschub!“ faßt sich Fischer an den Kopf.

Sein zweites Schlüsselerlebnis: Der Naturwissenschaftler sollte zu gemeinnütziger Arbeit für drei Mark die Stunde verpflichtet werden. In dem Vertrag, den er unterschreiben sollte, war nicht einmal eine Tätigkeit genannt. „Ich sagte der Sachbearbeiterin, ich würde den Vertrag gern mit nach Hause nehmen, um ihn in Ruhe durchzulesen“, erinnert sich Fischer. Doch der war solch kaufmännisches Herangehen fremd. „Sie hat sich geweigert, mir den Vertrag auszuhändigen“, sagt Fischer und kann es immer noch kaum fassen. Erst nach einigem Hin und Her habe er sich durchsetzen können. Es sei demoralisierend, hochqualifizierte Leute zum Laubfegen abzukommandieren und sie damit weit unter Wert einzusetzen, meint er. Er weigerte sich und nahm lieber eine 25prozentige Kürzung seiner Sozialhilfe in Kauf.

Mit 526 Mark Stütze im Monat auszukommen, wenn man vorher allein eine Telefonrechnung von 600 Mark hatte, ist eine Umstellung, die ebenso schwierig wie deprimierend ist. „Ich weiß, wie Kaviar schmeckt“, sagt der 59jährige, „daher vermisse ich ihn nicht.“ Und das klingt doch ein wenig bitter. „Viel schlimmer ist es, wenn 30jährige Konkurs anmelden müssen, oder wenn man Kinder hat.“ Wesentlich härter sei es, wenn man auf dem Land lebe, denn in den Großstädten schütze die Anonymität. „Wir leben in einer Gesellschaft, in der man Verlierer nicht mag.“ Auf den gescheiterten Unternehmern laste ein unglaublicher psychischer Druck. Nicht wenige seien selbstmordgefährdet. „Die Leute müssen lernen, den Kopf wieder aufrecht zu tragen.“

Kein leichtes Unterfangen, wenn man auch noch den Umzug in eine bescheidenere Wohnung verkraften muß. Das Sozialamt bezahlt die Miete nur für Wohnungen, die angemessen groß und nicht zu teuer sind. Wer glaubhaft machen kann, daß die Notlage nur vorübergehend ist, kann vorerst in der alten Wohnung bleiben. Doch wer auf absehbare Zeit auf Sozialhilfe angewiesen bleibt, muß umziehen.

*Namen von der Redaktion geändert

Ausweg e.V. Tel. 5220824