Mensch statt Maschine

Der Bundesnachrichtendienst ist weit weniger gut ausgerüstet als angenommen. Dadurch werden Gesetze verletzt  ■ Von Hermann Rheindorf

Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist zur Überwachung der Auslandstelefonate nach wie vor auf die guten Ohren seiner Mitarbeiter angewiesen. Dies geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Manfred Such (Bündnis 90/Die Grünen) hervor. Demnach setze der BND zur verdachtslosen Überprüfung von Sprach- und Faxverkehren bis auf weiteres Menschen ein. Deren Aufgabe sei es, die Texte auf die Nennung von vorher genehmigten einschlägigen Suchbegriffen hin durchzuhören bzw. zu lesen.

Damit bekräftigt das Ministerium die Angaben von Innenminister Manfred Kanther, die er am 5. September 95 in einem noch laufenden Verfahren gegenüber dem Bundesverfassungsgericht machte. Entgegen früherer Darstellungen, daß der BND über sogenannte Wortbanken verfüge, hatte Kanther den Richtern geschrieben, daß „bei Telefon- und Faxverkehren eine maschinelle Filterung anhand von Suchbegriffen in sog. Wortbanken vorerst nicht möglich sei“, und damit unter Experten für Überraschung gesorgt. Der als Handarbeit dargestellte „Abgleich mit den Suchbegriffen“ entspreche noch nicht einmal den Mindestanforderungen des eigenen Verbrechensbekämpfungsgesetzes, kritisierte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Joachim Jacob. Wenn Kanthers Darstellung zuträfe, stünde dies – so das Urteil des langjährigen Mitglieds der G-10-Kommission des Bundestages, Claus Arndt – im Widerspruch zu geltenden Gesetzen.

Das „Mitarbeiter-Szenario“ befindet sich zudem im Widerspruch zu Kanthers vorherigen Aussagen in dem selben Verfahren: Fünf Monate zuvor hatte er in einer ersten Stellungnahme noch die Leistungsfähigkeit der BND-Computer hervorgehoben: „Unverdächtige Personen“, die zufällig einschlägige Worte benutzen, so Kanther in dem Schreiben vom 10. 4. 95, würden nur erfaßt, „wenn zwei, drei oder mehr Begriffe in Kombination auftreten“. Dadurch könne „sichergestellt werden“, daß „Fernmeldeverkehre allgemeinen Inhalts, selbst wenn sie über [einschlägige] Themenbereiche geführt werden, bereits durch den Computer aussortiert werden“.

Nach Kanthers „Korrektur“ kann die Technische Abteilung des BND diese „Leistungsbeschreibung“ nur noch für den Bereich Telex anbieten, einer veralteten Technik, die Telekom nur noch im Programm hat, weil das Postministerium ihr den Betrieb vorschreibt. Zur Zeit gibt es in Deutschland nur noch 20.000 Telexanschlüsse. Bis zum Ende des Jahres werden es weniger als 15.000 sein. 1990 waren es noch 150.000.

Ungeachtet der noch ausstehenden Entscheidung des Verfassungsgerichtes hat der BND damit begonnen, die grenzüberschreitenden Telefonate der Deutschen zu überwachen. Seit 1. März diesen Jahres verfügt die Pullacher Behörde über alle Einzelanordnungen aus Bonn, um über Satellit, Richtfunk und Kurzwelle abgewickelte Telefonate zu erfassen, zu selektieren, auszuwerten und aufzuzeichnen. Professor Claus Arndt, langjähriges Mitglied der G-10-Kommission und an der aktuellen Genehmigung der Suchbegriffe selbst beteiligt, warnt jetzt vor einer gravierenden Aushöhlung von Artikel 10 Grundgesetz durch eine generell pauschale Telefonüberwachung. Die beschlossene „Staubsaugermethode“, so Arndt, führe zur globalen Erfassung „aller im Luftraum vorhandenen Funksignale“. Der „Zweck des Gesetzes erfordere gar die Einstufung ganzer Weltgegenden als „Gefahrengebiet“.

Arndt empfiehlt ebenfalls, die in dem Kanther-Papier an die Karlsruher Richter gemachte Aussage über die Gesamtzahl der vom BND abgehörten Telefonate nicht sonderlich ernst zu nehmen. Staatssekretär Eduard Lintner (CSU) hingegen bekräftigte die dort genannte Zahl von maximal 4.000 abgehörten Telefonaten pro Tag im Juni 1996 noch einmal schriftlich. Die äußerst umstrittenen Überwachungsbefugnisse des BND waren 1994 auf Betreiben von Bundesinnenminister Manfred Kanther verabschiedet worden.