Kein Pfennig mehr für Afrika!

Warum wird Entwicklungshilfe in Afrika selbst immer mehr angefeindet? Weil immer mehr Afrikaner sehen, was die deutsche Linke nicht wahrhaben will: Die Hilfe nützt den Falschen, schadet dem Rest und schürt massiv Konflikte  ■ Von Bettina Gaus

Einfach undankbar, die Leute. Wo man ihnen doch nur helfen will. In Ruanda wirft die Regierung zahlreiche Hilfsorganisationen aus dem Land und beschlagnahmt darüber hinaus ausländisches Eigentum, vom Computer bis zum Geländewagen. Im benachbarten Burundi werden Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes ermordet. In Eritrea verstaatlicht die Regierung das SOS- Kinderdorf und läßt ausländische Helfer überhaupt nur ins Land, wenn sie sich strengen Auflagen unterwerfen. In Somalia sind UNO und nichtstaatliche Organisationen Opfer systematischer Raubzüge, Drohungen und Entführungen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Unterdessen wird in deutschen Kirchen, auf Wohltätigkeitsbasaren und in Spendenaufrufen weiterhin im Ton naiver Treuherzigkeit Geld für Nothilfe und Entwicklungsprojekte in Afrika gesammelt, ganz so, als seien die oben aufgeführten Vorkommnisse eine zufällige Serie von Betriebsunfällen. Dabei handelt es sich um eine Krise des Systems.

Die Beteiligten wissen das, natürlich. Aber es gibt eine stillschweigende Übereinkunft, das Problem nicht öffentlich zu thematisieren. Wer das derzeit bestehende Konzept der Hilfe für die Dritte Welt grundsätzlich in Frage stellt, so das immer wiederkehrende Argument, der untergräbt jede Solidarität mit den Ärmsten der Welt und liefert nur denen Munition, die aus Geiz, rassistischen Motiven oder Egoismus ohnehin jeden Pfennig für Afrika verschwendet finden.

Eine ehrenwerte Mahnung. Aber auf die Dauer kann ein falscher Weg nicht allein deshalb weiter beschritten werden, weil die Wanderer Angst vor dem Beifall von der falschen Seite haben, wenn sie umkehren.

Trotz massiver „Hilfe“, die in den letzten Jahrzehnten in Milliardenhöhe nach Afrika geflossen ist, und trotz Tausender flächendeckender Entwicklungsprojekte geht es dem Durchschnitt der Bevölkerung heute schlechter als in den sechziger Jahren, in denen die meisten Länder unabhängig wurden. Der Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Bildung und zu Transportwegen für Handelsgüter ist einer immer größeren Zahl von Afrikanern und Afrikanerinnen versperrt. Die Kluft zwischen Arm und Reich verbreitert sich in schwindelerregendem Tempo. Die Folgen dieser Entwicklung – steigende Kriminalität, Bürgerkriege, Massenfluchtbewegungen – fordern jeden Tag neue Todesopfer.

Alles eine Folge des raschen Bevölkerungswachstums? Ach was. Armut gebiert Kinder, nicht umgekehrt. Noch immer ist Afrika der am dünnsten besiedelte Kontinent der Erde. Gäbe es hier eine nennenswerte Industrie und damit mehr Arbeitsplätze, dann wären die Geburtenraten auf Jahrzehnte hinaus kein Thema mehr.

In kaum einem anderen Bereich sind Wahrnehmung der Öffentlichkeit und Realität so weit voneinander entfernt wie bei der Entwicklungshilfe. Der modische Ausdruck „Entwicklungszusammenarbeit“ ist nicht nur schlechtes Deutsch, sondern vor allem ein Euphemismus. Während der spendenbereite Teil der Bevölkerung in den Industrienationen tatsächlich glaubt, Armut zu lindern und der Gerechtigkeit zu dienen, machen sich darüber die Helfer selbst nur selten Illusionen.

Was um alles in der Welt er hier eigentlich tue, fragt sich ein UNO- Angestellter in einer somalischen Hafenstadt. Die Brunnen, die hier gebohrt würden, führten zu einem dramatischen Anstieg des Viehbestandes und damit in der kargen Gegend in wenigen Jahren zu Überweidung und Verwüstung. Die Verbesserung der Wasserversorgung bereite eine Hungersnot vor.

Der Schaden, den die sogenannte Hilfe anrichten kann, ist den Verantwortlichen in vielen Fällen völlig klar. Mitarbeitern des UNO-Flüchtlingswerks gelang es vor einigen Jahren nicht, eine skandinavische Organisation vom Bau einer Schule in einem Flüchtlingslager im Südsudan abzuhalten. Das Lager war als Transitcamp gedacht, und die Bewohner sollten umgesiedelt werden – immer und in jedem Fall eine heikle Operation, die auf den Widerstand derjenigen trifft, die sich vor einem Aufbruch ins Unbekannte fürchten. Doch, sie wüßten schon, daß die Schule die Umsiedlung weiter erschwere, versicherten ihre Erbauer. Aber, so die bemerkenswert offenherzige Erklärung, mit nichts ließen sich so viele Spenden erzielen wie mit Hilfsprojekten für Kinder.

Ein großer Teil der Entwicklungshilfe ist zum Geschäft verkommen. Aber darin allein liegt nicht der Kern des Problems. Unkenntnis der Realitäten vor Ort, mangelnde Koordination verschiedener Organisationen und isolierte Projekte, die bei der Planung die Folgen des tiefen Eingriffs in das gewachsene Gefüge einer Region nicht berücksichtigen, stehen oft nicht nur einem Erfolg der Hilfe entgegen, sondern verschlechtern langfristig sogar die Lebensbedingungen der Empfänger. Das gilt vielfach gerade für Aktionen, gegen die sich auf den ersten Blick gar nichts einzuwenden lassen scheint. Was kann schon falsch daran sein, kleine Kinder gegen Krankheiten zu impfen? Gar nichts – wenn die Reihenimpfung in ein Gesamtkonzept zur Entwicklung einer Region eingebettet ist, begleitet von Familienplanungsprogrammen, Investitionsanreizen für kleine Industriebetriebe, Straßenbau, Arbeitsbeschaffungsprojekten. Alles – wenn die Reihenimpfung in einer von Nomaden bewohnten Region vorgenommen wird, die schon bisher nur knapp genug zum Überleben hatten, und die durch das plötzliche Bevölkerungswachstum gezwungen werden, ihre Weidegründe auszudehnen, wollen sie nicht dauerhaft abhängig von fremder Hilfe werden.

So werden aus geimpften Kleinkindern erobernde Milizen. An zahlreiche sogenannte Stammeskämpfe Afrikas hat in den letzten Jahren kurzsichtige Entwicklungspolitik die Lunte gelegt.

Nichts ist harmlos, kein Fehler bleibt ungestraft – wenn auch im allgemeinen nicht diejenigen dafür bezahlen, die ihn begangen haben. Entgegen der landläufigen öffentlichen Meinung in Industrienationen gibt es keinerlei Möglichkeit, den Ärmsten in der Dritten Welt zu helfen, ohne damit gleichzeitig politisch Einfluß zu nehmen.

Verschwörungstheoretiker haben's gut. Die glauben daran, daß die Urheber sinistrer Machenschaften die Fäden in der Hand halten und den Überblick über ihre Aktionen und deren Folgen haben. Anderen Beobachtern bietet sich da ein weit trüberes Bild: Eine kaum noch überschaubare Zahl von nichtstaatlichen Hilfswerken. UNO-Organisationen, Regierungsdelegationen und unabhängige Evaluierungsteams tummelt sich in Regionen, in denen oft genug überhaupt niemand irgendwelche Fäden in den Händen hält, geschweige denn den Überblick hat.

Da läßt sich die Welt neu erschaffen, wie im Computerspiel. Was passiert, wenn hier eine Straße gebaut, dort ein Ackerbauprojekt für Viehzüchter eingerichtet und an dritter Stelle ein Krankenhaus hingestellt wird? Alles mögliche passiert – aber was genau, das stellt sich immer erst hinterher heraus.

Machtpolitische eigene Interessen der Geberländer in Afrika spielen in diesem allgemeinen Chaos durchaus eine große Rolle, im Fall Frankreichs und der USA häufiger und eindeutiger als im Fall der Bundesrepublik Deutschland. Berechenbarer werden die Folgen des Eingreifens damit nicht. Das Debakel der USA in Somalia – übrigens schon vor dem Bürgerkrieg – und die gescheiterte französische Politik in Ruanda vor und nach dem Sturz des von Paris gestützten ehemaligen Regimes legen beredt Zeugnis von der hilflosen Ignoranz ab, die auch die Verfasser eines Masterplans beim Entwerfen ihrer Strategien in Afrika beseelt.

Einiges wäre immerhin gewonnen, wenn wenigstens in den Reihen der internationalen Hilfswerke mit der Scheinheiligkeit Schluß gemacht würde und ihre Repräsentanten offen zugäben, daß es keine Entscheidung ohne unmittelbare politische Folgen gibt, daß sie diese aber selbst oft nicht überblicken können. Den Völkern Afrikas und ihren Regierungen würde man damit nichts Neues sagen. Sie wissen es.

Somalische Intellektuelle warnen mit Nachdruck vor weiterer materieller Hilfe für ihr vom Bürgerkrieg zerstörtes Land. Jedes lohnende Beutegut könne die Kämpfe nur in die Länge ziehen. Sinnvoll sei allein die Vermittlung von technischem Know-how und logistische Unterstützung beim Aufbau regionaler Verwaltungen, die es den Somalis ermöglichten, ihr Haus selbst wieder in Ordnung zu bringen. In so unterschiedlichen Ländern wie Kenia und Niger, Nigeria und Zaire fordern Oppositionspolitiker immer wieder ausländische Geber auf, finanzielle Hilfsleistungen einzufrieren, um die repressiven Regierungen nicht weiter zu stärken.

Im allgemeinen helfen ausländische Zuwendungen den Herrschenden, nicht ihren Gegnern. Aber was heißt unter diesen Umständen schon Herrschaft? In Ländern, in denen bis zu 80 Prozent des Staatshaushalts vom Ausland bezahlt wird, erschöpfen sich Unabhängigkeit und Kontrolle der eigenen Angelegenheiten in der Freiheit, zu entscheiden, wie oft die Nationalhymne gespielt wird und wo das Bild des Präsidenten aufzuhängen ist. Konsequenterweise hängt es in diesen Ländern dann auch in besonders vielen Gebäuden. Es gibt afrikanische Intellektuelle und Politiker, die in den massiven Finanzspritzen der Industrienationen eine perfide Form des Neokolonialismus sehen.

Die sich häufende Zahl aggressiver Akte gegen ausländische Organisationen, sei es in Form administrativer Repression oder als physische Gewalt, ist daher kein Betriebsunfall. Sie sind Ausdruck von Interessenkonflikten. In jedem Einzelfall läßt sich die Aggression entweder verurteilen oder begrüßen. Das hängt vom Standpunkt und von der Art der Aggression ab. Aber um sie zu beurteilen, muß sie zunächst einmal in ihren allgemeinen und in ihren spezifischen Ursachen verstanden werden. Bis dahin ist noch ein weiter Weg.

Nach dem Ende des Kolonialismus, als sich in den reichen Nationen Europas viele der Schuld ihres historischen Erbes bewußt wurden, entstand in Teilen der dortigen Bevölkerung eine Vision: Hilfe, die zu einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse in Afrika und zu einer tiefgreifenden Verbesserung der Lebensumstände der Menschen führe, sei möglich, ohne daß machtpolitische und ökonomische Interessen dabei eine Rolle spielten. Ironischerweise hingen dieser Hoffnung überwiegend ausgerechnet Linke an, die ansonsten die Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen definieren.

Hätte es funktioniert – es wäre in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel gewesen. Es hat nicht funktioniert. Das Konzept der Entwicklungshilfe wie auch der Nothilfe in den letzten Jahrzehnten ist gescheitert. Es hat, insgesamt betrachtet, der Bevölkerung Afrikas mehr geschadet als genutzt.

Die Bewohner des Kontinents selbst sind daran nicht unschuldig. Es ist eine verschleierte Form rassistischer Überheblichkeit, noch heute – mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kolonialzeitalters – allein die Industrienationen und ihre ausbeuterischen Praktiken für alles Elend in Afrika verantwortlich zu machen. Die afrikanische Bevölkerung ist für die Gestaltung ihres eigenen Lebensumfeldes auch selbst verantwortlich. Wer das bestreitet, spricht Afrikanern und Afrikanerinnen, in deren Reihen sich inzwischen viele hochqualifizierte Fachleute fast aller Disziplinen finden, die Möglichkeit des selbstbestimmten Handelns ab.

Schuldzuweisungen an die afrikanische Adresse aber helfen im Ergebnis ja nicht weiter. Auch Kritik an einzelnen, besondern unsinnigen ausländischen Projekten, kann nur ein Schlaglicht auf einen Teilaspekt des Problems liefern, keinen Hinweis auf eine mögliche Lösung.

Es ist eine Herkulesarbeit, die getan werden müßte – und es ist sehr fraglich, ob bei den Verantwortlichen überhaupt ein ernsthaftes Interesse daran besteht, sie zu tun. Ohne eine grundlegende Reform der multilateralen Organisationen Weltbank, Internationaler Währungsfonds und UNO, vor allem ohne die Einführung eines wirksamen Systems zur Kontrolle ihrer Finanzen und der Effizienz ihrer Personalpolitik, ohne den Zwang zur Koordination ihrer Aktivitäten und ohne eine präzise Neudefinition ihrer Zielsetzungen, ist alles andere, was derzeit getan wird, sinnlos. Mal nett und ganz hilfreich, mal weniger nett und schädlich, aber niemals von wirklich tragender Bedeutung für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung.

Und wenn die Stammtische sich im Recht fühlen: Es ist rausgeschmissenes Geld – oft genug in den Rachen derer geworfen, die zu helfen vorgeben, dabei aber in Wahrheit einen neuen Weg der Bereicherung für sich selbst gefunden haben.