Koka, Pflanzengift und Mord am Rio Caquetá

Kolumbiens Armee setzt die Kokabauern unter Druck. Der Präsident braucht schnelle Ergebnisse  ■ Aus Puerto Solano Ralf Leonhard

„Der Bürgermeister... Sie haben ihn umgebracht!“ Betty stürzt schluchzend herein. Pistoleros haben den Bürgermeister Demetrio Quintero Renteria in seinem Wohnhaus aufgesucht und mit fünf gezielten Schüssen niedergestreckt. Die Mörder konnten unerkannt flüchten.

Dabei zählt Puerto Solano eigentlich zu den friedlicheren Gemeinden in der südkolumbianischen Provinz Caquetá. Bislang ist hier allenfalls aus Rache oder Eifersucht gemordet worden. Zum Beispiel Mitte Juni, als jemand den erstbesten Bärtigen erschoß, weil er gehört hatte, einer mit Bart hätte seinen Vater umgebracht. Politisch motivierte Gewalt aber ist hier im Vergleich zum Norden der Provinz relativ selten.

4.000 Einwohner zählt der Ort – das haben die Experten von der Malaria-Erhebung herausgefunden. Es gibt keine Autos, aber eine Straße, die zur zehn Kilometer entfernten Militärbasis von Tres Esquinas führt. Ansonsten ist der Ort lediglich über den Fluß Caquetá erreichbar. Es dröhnen die Außenbordmotoren: von den 25 Pferdestärken der Kleinbauern bis zu den gewaltigen 175 PS-Motoren der Passagier-Gleitboote, die zweimal am Tag bis zur Provinzhauptstadt Florencia flitzen.

Dort in Florencia residiert ein Interimsgouverneur. Das gewählte Provinzoberhaupt Jesús Angel González wurde am 20. Juni von der Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in eine Falle gelockt und exekutiert. Die Leute in Puerto Solano waren noch am Rätseln, was die FARC damit bezweckte, als es ihren Bürgermeister traf – in seinem Haus an der Plaza, keine zehn Meter vom militärischen Wachposten.

Am nächsten Morgen wird der tote Bürgermeister in der Leichenhalle auf dem Friedhof obduziert. Die Trauergemeinde sammelt sich auf den umliegenden Gräbern. Der Bruder des Opfers, Alejandro Quintero, war selbst vor ein paar Jahren Bürgermeister. Zur Identität der Mörder will er sich nicht äußern: „In diesem Land ist es nicht gut zu spekulieren. Womöglich verdächtigt man die Falschen.“ Sergeant Noguera, der mit dem Sturmgewehr im Anschlag den Trauerzug bewacht, hat da keine großen Skrupel: „Das war die Drogenguerilla. Sicher hat sie Leute im Dorf dafür angeheuert.“

Im Gasthaus an der Ecke sitzt ein alter Mann und schaufelt Unmengen Zucker in seinen Kaffee. Wie die meisten einflußreichen Männer, sagt er, hätte der tote Bürgermeister Feinde gehabt. „Bevor er Bürgermeister wurde, hat er einen Bauernführer umgebracht. Schon möglich, daß es die Guerilla war“, murmelte der Alte, „die Muchachos töten keinen Unschuldigen. Die stehen immer auf der Seite der Armen.“

Don Armando ist nicht mehr wirklich arm, aber mit der Guerilla hat auch er sich arrangiert. Seine Kokapflanzung hat er weit unten am Cenceya, wo die Militärs nur sehr sporadisch patrouillieren. Um dort hinzugelangen, muß man mehrere Stunden Flüsse und deren Seitenarme auf- und abfahren. Es regnet in Strömen; das Wasser findet auch durch die Ölmäntel seinen Weg. Die Ufer sind hier nur dünn besiedelt, der Urwald reicht bis ins Wasser.

Nach einer Flußbiegung taucht Don Armandos Hausboot am Ufer auf. Eine halbe Stunde muß nun noch durch das Dickicht gestapft werden. Manchmal steht das sumpfige Wasser so hoch, daß es von oben in die Gummistiefel eindringt. Auf einer Lichtung steht dann die verbotene Pflanze. Es ist ein ruppig wirkender Strauch mit hellgrünen Blättern, dem Lorbeer nicht unähnlich. Die Kokavariante, die hier angebaut wird, ist zum traditionellen Konsum ungeeignet. Ihre einzige Bestimmung ist die Verarbeitung zu Kokain.

Unter einem Verschlag am Rande der kaum einen Hektar großen Pflanzung stehen zwei hölzerne Pritschen mit löchrigen Matratzen. Hier schlafen unter Mosquitonetzen die beiden Söhne von Don Armando. Bis auf Kaffee, Salz, Reis und Teigwaren holen sie sich die Nahrung aus dem Urwald. Am Waldrand wachsen Papayas, Ananas und andere tropische Früchte. Mit ihren Schrotflinten können sie Affen, Nagetiere und Vögel für den Kochtopf erbeuten.

Don Armando und seine Söhne verschwinden über fast unsichtbare Pfade im Wald und kehren nach einer Weile mit einem vollen Benzinkanister und einem Säckchen mit Natriumchlorat wieder. Zusammen mit Zement und Schwefelsäure sind das die Substanzen, die zur Verarbeitung des Kokablatts gebraucht werden. Eigentlich dürften Don Armando und seine Söhne gar nicht an das Zeug herankommen; just nach ihnen suchen die Militärs bei ihren scharfen Kontrollen am Fluß. Vor ein paar Jahren noch wurde Zement in solchen Mengen in den Caquetá geschafft, daß es schien, ganze Städte würden gebaut. Inzwischen sind die Kontrollen so streng, daß selbst die normale Bautätigkeit fast zum Erliegen gekommen ist. Don Armando aber kennt da noch einige Kanäle. Welche, sagt er nicht.

Alle 45 Tage kann das Kokablatt geerntet werden. Zuerst werden die Blätter auf einem Holzboden gehackt und mit etwas Zement zum Schwitzen gebracht, dann kommen sie in eine Plastiktonne, wo sie mit Benzin zugedeckt werden. Am besten läßt man die Brühe nun über Nacht ruhen. Dann kommt sie in eine löchrige Blechtonne, durch deren Öffnungen der gesättigte Saft austritt. Mit Schwefelsäure vermengt verliert das Gemisch schließlich den Benzingeruch. Dann wird es mit Natriumchlorid geschnitten und verwandelt sich in eine weißliche, dickflüssige Masse. Die wird durch ein Tuch gefiltert. Übrig bleibt die Kokapaste, die nur noch getrocknet und vermarktet werden muß.

Don Armando kommt aus der Provinz Huila, in den Bergen Zentralkolumbiens, wo es für Leute wie ihn weder Arbeit noch Land gibt. Als Siedler und Kokabauer im Urwald ist er bisher nicht schlecht gefahren. Bis zu seinen Plantagen ist die Armee mit ihren Pflanzengiften noch nicht vorgestoßen. Vor kurzem konnte er ein paar Hektar Koka günstig verkaufen und vom Erlös ein Grundstück weiter flußaufwärts, direkt am Ufer, erstehen. Dort läßt er 15 Rinder weiden und baut Yucca, Bohnen und ein paar Früchte an. Das reicht für die Selbstversorgung der Familie. Die zwei Hektar Koka, die er noch hat, bringen das Bargeld für Kleidung, Schule und Benzin für den Außenbordmotor.

Eine goldene Nase freilich verdient er dabei nicht. Die Preise sind gefallen. Für ein Kilo Kokapaste – ungefähr das Produkt eines Hektars Koka – werden derzeit umgerechnet 1.500 Mark bezahlt. Bei den hohen Investitionen in Schädlingsbekämpfung und Chemikalien zur Verarbeitung bleiben davon nur an die 500 Mark übrig – auf sechs Wochen umgelegt, kaum mehr als der staatliche Mindestlohn. Und das bei einem Preisniveau, das für viele Dinge und Leistungen weit über dem der Hauptstadt liegt.

„Kondome statt Koka“: Der Pfarrer von Puerto Solano, Giuseppe Svanera, hat eine Stiftung ins Leben gerufen, mit der die schrittweise Substitution der illegalen Kulturen durch legale Anbauprodukte gefördert werden soll. Begonnen hat das Projekt mit einer Versuchspflanzung von Gummibäumen. Der natürliche Latex, einst das begehrteste Produkt des Amazonasurwaldes, das später von der synthetischen Plastikindustrie verdrängt wurde, hat seit einigen Jahren wieder Konjunktur. Kolumbien, ein ehemaliges Exportland, produziert heute nicht einmal genug Gummi für den Eigenbedarf.

Die Vereinigung der Kokapflanzer Macaya/Cenceya, bestehend aus zwanzig Familien von Kleinproduzenten, gehört zu den aktivsten Gruppen der von „Pater Pepe“ gegründeten Initiative. Bei einem Treffen in der Dorfschule von La Cocha herrschte Einigkeit, daß das staatliche Programm PLANTE, das mit den illegalen Kulturen mittels Krediten für den Anbau anderer Produkte aufräumen soll, keinen Ausweg bietet. Zu eilig, zu schlampig und für das labile Ökosystem im Urwald kaum geeignet.

Gummibäume brauchen sieben Jahre zur vollen Entwicklung. Werden sie zwischen die Kokastauden gepflanzt, dann tötet ihr Schatten die verbotenen Sträucher ab. Doch die Regierung und vor allem die Drogenbehörde der USA, die Herbizide und Hubschrauber für die chemische Bekämpfung liefert, wollen schnelle Ergebnisse sehen. Die sanfte Substitution paßt nicht ins Konzept.

Wo die Siedler zwischen Guerilla, Drogenmafia und Armee zur Manövriermasse geworden sind, ist an sanfte Lösungen nicht zu denken. Wo derjenige Recht behält, der schneller die Pistole zieht, bleiben die Visionäre auf der Strecke.

Das Schicksal des Bauernführers Alvaro Felantano ist Beweis dafür. Der Mann, der seit Jahren eine Straße forderte, um die Isolierung der Region aufzubrechen, wurde einen Tag nach dem Mord am Bürgermeister von Solano auf dem Heimweg von seiner Finca überfallen. Die Täter zerfetzten ihm die Eingeweide mit einer Schrotladung und schlugen ihm schließlich mit der eigenen Machete den Kopf ab. Guerilla, Paramilitärs oder eine private Rechnung? Wer weiß das schon. Die Toten werden schnell beerdigt. Und wer nicht der nächste sein will, stellt keine Fragen.