■ Plädoyer für einen offenen Streit um eine Politik mit der PDS – und um die Fehler des deutschen Einigungsprozesses
: Die PDS aus ihrem Versteck treiben

Ein politisierter Pfarrer holt rote Socken aus dem Schrank, und die Republik duckt sich erschreckt weg. Ja, wo leben wir eigentlich? Der Streit um die PDS verdient eine seriösere Behandlung – so wie sie vor allem im Osten längst geführt wird. Das Wählerpotential der PDS liegt inzwischen bei 25 bis 30 Prozent. Dennoch hält sich im Westen die Hoffnung, das „Problem“ PDS erledige sich schon von selbst. Ich halte das für einen Irrglauben.

Die PDS ist nur zum Teil eine Milieupartei. Nicht nur die Ewiggestrigen, nicht nur alte Stasioffiziere wählen sie. Die kritische Intelligenz, Rentner, Teile des neuen ostdeutschen Mittelstands und zunehmend Jugendliche haben in der PDS eine politische Heimat gefunden. Bei den Berliner Abgeordnetenhauswahlen wurde die PDS unter den 18- bis 25jährigen im Osten der Stadt mit 39 Prozent die mit Abstand stärkste Partei.

Ob es uns paßt oder nicht: Die PDS hat sich als ostdeutsche Regionalpartei zum politischen Faktor in Gesamtdeutschland gemausert. Die Frage ist: Streiten wir uns über die PDS oder streiten wir mit der PDS? Ich plädiere für eine offensive Auseinandersetzung mit Positionen und Personen der PDS. Dafür gibt es gute Gründe.

Da ist zunächst die vieldiskutierte machtpolitische Perspektive. Gestatten wir es der Union, durch ihre „Rote-Socken-Kampagne“ die Opposition strukturell mehrheitsunfähig zu machen? Wir müßten verrückt sein, auf eine so törichte Kampagne hereinzufallen. Und auch der PDS sei die Wahlkampfhilfe aus dem Bonner Adenauer-Haus nicht gegönnt. Denn die WählerInnen im Osten reagieren auf Hintzes Sprüche nur mit einem „Jetzt erst recht“.

Zynisch kalkuliert die Rechte, daß das Schüren antikommunistischer Emotionen vor allem im Westen des Landes Zuspruch erfährt. Dabei nehmen die Unionschristen in Kauf, daß ihre Hetzkampagne die Republik weiter spaltet.

Auch das Ignorieren des Problems führender Politiker von SPD und Bündnisgrünen – nach dem Motto „Diese Frage stellt sich heute nicht“ – ist wenig hilfreich. Es geht auch um unsere Glaubwürdigkeit. Was machen wir denn, wenn der Regierungswechsel nur mit Hilfe der PDS-Stimmen gelingt? Wer dann erst „umkippt“, setzt sich zu Recht dem Vorwurf des Wählerbetrugs aus. Deshalb müssen wir jetzt den WählerInnen erklären, was wir unter welchen Bedingungen 1998 tun, wenn der Machtwechsel nur mit Hilfe der PDS gelingen könnte.

Wichtiger aber noch ist: Wir müssen uns mit der PDS beschäftigen, weil die Auseinandersetzung mit ihr in Wahrheit eine Auseinandersetzung mit den Widersprüchen im vereinten Deutschland ist.

Denn der derzeitige Kampf gegen die PDS ist nur ein Stellvertreterkrieg, die Empörung in den westdeutschen Parteien heuchlerisch. Der Zorn über die PDS gilt letztlich jenem Viertel der Ostdeutschen, das sich weigert, sich in die westdeutsche Parteienlandschaft zu integrieren – und sie damit oft auch nervtötend an deren Versäumnisse und Fehler im Einigungsprozeß erinnert.

Keine Partei versteht es so gut wie die PDS, diese enttäuschten Erwartungen und spezifischen Befindlichkeiten der Ostdeutschen zu artikulieren. Anders gesagt: Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der PDS kann zum Katalysator für eine Debatte über das deutsch- deutsche Verhältnis werden.

Insofern kann die PDS nicht einfach ausgegrenzt oder ignoriert werden – zumal ihr die Chance zur Veränderung nicht abgesprochen werden kann. Deshalb sollte niemand zum jetzigen Zeitpunkt einen Machtwechsel mit der PDS ausschließen. Unsere Aufgabe als Bündnisgrüne liegt vielmehr darin, die Bedingungen hierfür zu formulieren – und so die eigentliche Debatte über die gesamtdeutsche Wirklichkeit zu provozieren.

André Brie fordert zu Recht von seinen Genossen, sie müßten endlich in der BRD ankommen und ein positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie entwickeln. In der Tat. Bevor die PDS für uns koalitionsfähig werden kann, muß sie ihre Vergangenheit klären. Angefangen von der fehlenden Neugründung über ihre Finanzgebaren, dem Festhalten an der Kommunistischen Plattform bis hin zu den ständigen Verstößen gegen ihren eigenen Offenlegungsbeschluß über die Stasivergangenheit von Wahlkandidaten: Diesen Milieuschutz für alte SED-Strukturen kann es in einer gemeinsamen Koalition nicht mehr geben. Stasispitzel gehören weder ins Parlament noch in eine Regierung.

Prüfstein wird auch sein, wie die PDS sich künftig bei der bis heute kaum erfolgten Opferentschädigung und der bisher gescheiterten juristischen Aufarbeitung von DDR-Unrecht engagiert. Von einer Erneuerung der PDS kann erst die Rede sein, wenn sie einen für die Öffentlichkeit erkennbaren Bruch mit den Strukturen der ehemaligen DDR und ihren antiaufklärerischen Ideen vollzogen hat. Doch wir können dabei nicht auf der Zuschauertribüne sitzen. Unsere Aufgabe ist es, die PDS zu provozieren: Sie muß raus aus ihrer Quarantänestation. Wir dürfen sie nicht in ihrer Märtyrerrolle belassen.

Zudem ist längst noch nicht entschieden, ob die PDS sich zu einer Reformpartei entwickelt. Noch kann sie im Bundestag flotte Sprüche über ökologischen Umbau und soziale Grundsicherung verbreiten, sich antimilitaristisch und multikulturell geben, während sie andererseits im Osten sozialdemokratische bis rechtskonservative Politik betreibt. Ob in Menschenrechtsfragen oder beim ökologischen Umbau, zu Fragen der Demokratie oder des Feminismus – die Mehrheit des PDS-Apparats tickt bestenfalls sozialdemokratisch. Darum also geht es: Wir müssen die PDS zur Ehrlichkeit mit sich selbst zwingen. Und wir müssen auch im Westen offen über die Folgen des Einigungsprozesses sprechen. Nur so werden wir die PDS aus ihrem Versteck hinter den deutsch-deutschen Ungereimtheiten treiben.

Die Bündnisgrünen sind für diesen Streit am besten gerüstet – wir sind nach dem intensiven Prozeß des Zusammengehens von Grünen und Bündnis 90 die einzig authentische gesamtdeutsche Partei. Wir können im Streit mit der PDS nur gewinnen. Kerstin Müller